Presseschau Beiträge von Joséphine Glenz

»Wir können auch anders«

Ein Fall in Bayern deutet auf einen eingeschränkten Rechtsstaat

Rechtlosigkeit, Polizeiwillkür und illegale Absprachen zwischen Behörden vermuten die meisten Menschen hierzulande in weit entfernten Staaten. Doch auch Deutschland ist weit weniger ein Rechtsstaat als im Selbstbild gedacht. Besonders krass zeigt dies ein Fall in Bayern: Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll ein Polizeibeamter versucht haben, einen Zeuge mit der Pistole am Kopf zu einer Aussage zu erpressen. Als der Schrotthändler nicht seine Beteiligung am Verdunkeln eines Mordes zugeben wollte, schickte ihm der Staatsanwalt eine Kontrolle auf seinen Schrottplatz, mit der Wahl zu kooperieren oder eine horrende Strafe für falsche Lagerung zu zahlen. Der Staatsanwalt würdigte den Angeklagten in seinem Plädoyer als »Abschaum der Menschheit« herab. Weiterlesen … »

Herrschaftsinstrument Verfassungsschutz

Der Geheimdienst wurde in Thüringen zur Unterwanderung parlamentarischer Parteien eingesetzt
Trinkaus: Der Verfassungsschutz lässt Nazis linke Ästhetik übernehmen
Trinkaus: Der Verfassungsschutz lässt Nazis linke Ästhetik übernehmen Bild von Indymedia

Ein Panorama der Absonderlichkeiten erblickt der Betrachter im Kaleidoskop des NSU-Skandals. Dieser Komplex erweitert sich mittlerweile über die Frage einer Mordserie und der Verstrickung von Behörden hinaus. Gerade als die Innenminister ein neues NPD-Parteiverbotsverfahren beabsichtigen, erschüttert eine Meldung die skandalerprobte Öffentlichkeit. Durch einen MDR-Bericht wird aufgedeckt, mit welchen Methoden der »Verfassungsschutz« arbeitet: Der Erfurter NPD-Chef Kai-Uwe Trinkaus wurde vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz als V-Person »Ares« geführt. Mit ausdrücklicher Billigung der Behörde schleuste er ein Mitglied seiner Partei als Spitzel bei der Fraktion der Linkspartei in Thüringen und bei den Jusos ein. Die NPD agiert somit als verlängerter Arm des Verfassungsschutzes beim Ausspionieren von Parlamentariern. Weiterlesen … »

Europa beginnt jetzt in Griechenland

Eine Dokumentation über Migration von der Türkei nach Griechenland
Europa beginnt jetzt in Griechenland
Bild von Cihan Arabul

Die Routen der illegalen Migration nach Europa haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Liefen die Wanderungsströme lange Zeit über das Mittelmeer, versuchen die Flüchtlinge und Migranten aus Ghana, Ruanda oder Afghanistan nun über die Landgrenze von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Viele ertrinken bei der Durchquerung des Grenzflusses Evros. Andere bleiben unterwegs hängen und arbeiten als Schleuser oder versuchen sich anderweitig durchzuschlagen. Andreas Morell schildert in WDR die story die unterschiedlichen Perspektiven der Migranten, der Grenzschützer und der Bewohner der Grenzdörfer. Die Schwierigkeiten und das Elend werden sichtbar, zugleich aber auch, daß kein Grenzzaun die Wanderungsbewegung aufhalten kann.

Am Rande der Weltöffentlichkeit

Ein Bildungsprojekt in Ostkongo sendet mit einer Radiostation für eine friedliche Entwicklung
Schöne Landschaft, schreckliche Verhältnisse: Kivu im Ostkongo
Schöne Landschaft, schreckliche Verhältnisse: Kivu im Ostkongo Bild von Julien Harneis

Nach wie vor schwelt im Osten des Kongo der Bürgerkrieg: Immer wieder kommt es zu Übergriffen, Scharmützeln, Morden und Vergewaltigungen. Die UNO-Truppen »sind ausschließlich damit beschäftigt, sich selbst zu schützen«. Dieses Bild zeichnet eine Reportage von Philipp Maußhardt in dem Autorenportal Magda. Doch neben der deprimierenden Lage kämpfen die Aktivisten der Bildungsorganisation Cereba für Frieden. Durch einen Radiosender erreichen sie eine Bevölkerung, in der die Analphabten in der Mehrheit sind, in einer Region, in der keine Zeitungen existieren. Mit einfachen Mitteln sendet Radio Ushikira über gewaltfreies Zusammenleben, drohende Gefahren und unterhält die Hörer: Ein Hoffnungsschimmer in einem endlos erscheinenden Konflikt, den die Welt vergessen hat.

Fortlaufende Gewalt

Eine Dokumentation über die Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland
Wehrsportgruppe Hoffmann
Wehrsportgruppe Hoffmann Bild von Indymedia

Rechsterrorismus in Deutschland, eine Überraschung? Diese Perspektive stellten Ende vergangenen Jahres viele Politiker dar. Doch die Vergangenheit spricht eine andere Sprache, wie ein hervorragender Rückblick auf die letzten vierzig Jahre von Rainer Fromm und Rolf-Axel Kriszun in der ARD aufzeigt. Eine Kontinuität von Morden, Anschlägen und Aktivisten der gewaltbereiten rechtsradikalen Szene überzieht Deutschland in den frühen 80er und 90er Jahren. Sie werden organisiert von teils paramilitärischen Gruppen, welche die Stimmung zu Pogromen anheizen. Schlüsselfiguren wie Manfred Roeder oder Friedhelm Busse organiseren trotz Verboten und Inhaftierungen immer wieder die rechte Szene. Gerade das Vergessen dieser alltäglichen Gewalt ermöglicht erst die fortlaufenden Serien von Anschlägen. Der Film verdeutlicht die Akzeptanz ausländerfeindlicher Stimmungen in der Gesellschaft, aus der gar Pogrome legitimiert werden. Weiterlesen … »

Großer Sprung zurück

Eine Fallstudie zum Staatsumbau in Ungarn
Gerade auf dem Land ist die Situation in Ungarn schwierig
Gerade auf dem Land ist die Situation in Ungarn schwierig Bild von Ken Owen

Der Umbau Ungarns zu einem autoritären Staat ist weit fortgeschritten, neue Gesetze schränken die Medienfreiheit und das Verfassungsgericht ein. Doch welche Konsequenzen hat das konkret? Spiegel Online stellt drei Menschen vor, die mit dem neuen Ungarn zu kämpfen haben: Eine Journalistin, die aufgrund ihrer kritischen Reportagen ihre Arbeit verlor. Eine Romafamilie in Gyöngyöspata, die trotz guter Ausbildung keine Arbeit findet und der Diskriminierung in der rechten Hochburg ausgeliefert ist. Eine Bürgerrechtlerin, die gegen die Ausgrenzung der Roma in den Schulen kämpft.

Gerade auf dem Land ist die Situation am rückständigsten: Da viele hier nur das Staatsfernsehen sehen, wirkt die Zensur in den Medien. Armut und Abgrenzung geben sich hier die Hand. Gyöngyöspata ist durch wochenlange Aufmärsche von Rechtsradikalen bekannt geworden, bei denen die Regierung nicht einschritt. Vielmehr setzt die Regierung Vorschläge der Jobbik-Partei um. Die dargestellte Situation erinnert an den Film Csak a szél (Nur der Wind), der auf der Berlinale den Großen Preis der Jury gewann und die alltägliche Diskriminierung der Roma thematisiert. Der Staatsumbau unter Victor Orban ist ebenso schleichend wie die alltägliche Diskriminierung nicht auf den ersten Blick sichtbar wird.

Kind des Kalten Krieges

Die Pleitengeschichte des Verfassungsschutzes und die Frage nach seiner Zukunft
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln
Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln Bild von BfV

Wolfgang Gast richtet im Cicero sein Augenmerk auf den Verfassungsschutz; denn durch den Fall der aufgedeckten Mordserie steht die Frage im Raum, wie diese den Behörden entgehen konnte. Dem Autoren fällt wenig Schmeichelhaftes für den Dienst ein, der auf eine lange Pannenserie zurückblicken kann. Der Fehler liege in der Architektur:

Ihre Unfähigkeit, die Bedrohung von rechts genauso ernst zu nehmen wie die von links, erklärt sich aus der Geschichte der Dienste. Seit ihrer Gründung verstanden sich die geheimen Spionagejäger und Verfassungshüter als Soldaten des Kalten Krieges im geteilten Deutschland – und da saß der Feind eben links.

Besonders drängend sei dabei die Frage nach den V-Personen der Dienste. Diese haben das NPD-Verbotsverfahren verhindert und immer wieder die Grenze der Legalität weit überschritten. Die aktuelle Debatte durch die Untersuchungsausschüsse läßt Gast vorsichtig auf Reformen hoffen. Auch in den Diensten gab es Reformer, die aber kalt gestellt wurden. Die entscheidene kritische Erkenntnis des Autoren aber ist, daß der Verfassungsschutz ein Kind des Kalten Krieges ist.

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