Magazin Beitrag

Fatales Prisenkommando

Der Zwischenfall auf der Mavi Marmara gerät zur Propagandaschlacht
"Waffenfunde" an Bord der Mavi Marmara   <br/>Foto von des <a href="http://www.flickr.com/photos/israel-mfa/sets/72157624179998488/">israelischen Außenministeriums</a>
"Waffenfunde" an Bord der Mavi Marmara Foto von des israelischen Außenministeriums

Die Politik der israelischen Regierung, die Hamas durch Blockade des Gaza-Streifens unter Druck zu setzen, führt das Land immer tiefer in die internationale Isolation 1. Die Regierung beharrt nach dem Angriff auf einen Schiffskonvoi mit Hilfsmitteln für den Gazastreifen auf ihr Recht zum präventiven Handeln. Der Angriff mit mindestens neun Toten fand jedoch in internationalen Gewässern statt und stellt offenbar einen Verstoß gegen internationales Völkerrecht da.

Der Schaden für Isarael ist umso größer, da sich auf den Schiffen Journalisten, Parlamentarier und internationale Prominente befanden, welche der eher symbolischen Aktion Legitimität und Nachdruck verleihen wollten. In Israel herrscht allerdings eine Wagenburgmentalität 2, aus der heraus eine grundsätzliche Kritik des Einsatzes kaum möglich scheint, berichtet Ulrike Putz aus Aschdod. Die Schuld wird den Organisatoren des Hilfskonvois gegeben, welche der Vizeaußenminister gar als »Armada des Hasses und der Gewalt« bezeichnet.

Umstritten bleibt der Ablauf der Ereignisse. Laut israelischer Regierung sei ihr Prisenkommando mit Eisenstangen und Äxten angegriffen worden und setzte sich zur Wehr. Die als Beleg angeführten Videobänder zeigen nur einen von der israelischen Armee (Israel Defense Force, IDF) gewählten Ausschnitt, in dem die Soldaten tatsächlich angegriffen werden. Die Bilder des Außenministeriums, welche die Bewaffnung belegen sollen, stützen allerdings eher die Aussage von Free Gaza, wonach sich die Besatzung der Mavi Marmara mit Holzknüppeln zur Wehr gesetzt habe. Das israelische Kommando erhielt offenbar den Schießbefehl, nachdem mehrere Soldaten entwaffnet worden waren. Die Aussagen der internationalen Beobachter sind recht wertlos, da sie größtenteils keine Augenzeugen waren, sondern sich unter Deck befanden. Ohne ein unabhängiges Gericht wird es in der Klärung des Verlaufs wohl keine Wahrheitsfindung geben. Dies spielt allerdings eine nachgeordnete Rolle, sofern der Angriff der IDF ohnehin illegal war.

Laut internationalem Seekriegsrecht dürfen neutrale Handelsschiffe in internationalen Gewässern nur aufgebracht werden, wenn sie planen, eine Blockade zu durchbrechen. Eine solche Blockade muß allerdings ebenso erklärt werden wie der Kriegszustand, der Bedingung für eine Blockade ist. Eine Blockade ist allerdings verboten, wenn die Zivilbevölkerung ausgehungert werden soll oder andere Notwendigkeiten zum Überleben durch sie nicht gegeben sind. Im Fall einer Unterversorgung –  durch die UN kritisiert – muß die blockierende Seite freies Geleit für die Versorgung gewährleisten, darf die Schiffe allerdings nach Waffen durchsuchen. In diesem Sinne handelt es sich also offenbar um einen Verstoß gegen das Völkerrecht, da von einer Blockade im Kriegszustand nicht die Rede sein kann. Die israelische Regierung versucht daher recht unbeholfen, anhand von Küchenmessern Waffenfunde auf dem Schiff Mavi Marmara zu konstruieren.

Das tieferliegende Problem der Blockade des Gazastreifens ist allerdings die Frage, ob es sich hierbei um ein besetztes Gebiet handelt. Beansprucht Israel die Souveränität über das Gebiet, muß es eine Versorgung der Bevölkerung gewährleisten. Falls nicht, dürfen Handelsschiffe nur aufgehalten werden, wenn der Kriegszustand erklärt ist und sie nicht der Versorgung der Bevölkerung dienen.

Eine Propagandaschlacht um die Interpretation des Falles ist mitlerweile entbrannt. Mehrere Medien, ebenso wie Wikipedia 3 ist es nicht peinlich, den der israelischen Armee nahe stehenden Intelligence and Terrorism Information Center (ITIC) als Quelle dafür zu anzuführen, die den Konvoi mitorganisierende Insani Yardim Vakfi (Humanitarian Relief Foundation, IHH) stehe der Hamas oder der Muslimbruderschaft nahe. Der gleiche Wikipediabeitrag zitiert weitere Medienbeiträge wie der Welt, die wiederum die gleiche Quelle angeben: Eine Lehrstunde für peinlich schlechte Recherche. Allerdings gibt es auch andere Quellen, welche die IHH in ein zweifelhaftes Licht stellen, deren Authentizität ich aber an dieser Stelle nicht überprüfen kann; für den ITIC war die Studie des Danish Institute for International Studies 4 ein gefundenes Fressen. Die IHH selbst bestreitet jede Nähe zur Hamas. Interessant ist jedoch, wie der ITIC als scheinbar neutrale Quelle an vielen Stellen genannt wird: Diese tritt als NGO auf, ist jedoch offenbar eine Vorfeldorganisation des israelischen Militärgeheimdienstes Aman 5. Im Interview mit Deutschlandfunk bezweifelt der Historiker Cil Brecher  eine Verbindung der IHH-Aktivisten auf den Schiffen zum radikalen politischen Islam wie der Djihad-Bewegung. Ähnlich sieht das Kai Strittmacher, der als Türkeiexperte der Süddeutschen eine der wenigen qualitativen Recherchen zum Thema leistete:

Die »Verbindungen zur al-Qaida« in dem Itic-Bericht bestehen in »mehreren Telefonaten« von einem IHH-Telefon aus »in eine Al-Qaida-Wohnung in Mailand im Jahr 1996«.

Die vorgeblichen Waffenfunde sowie der Versuch, das Free Gaza Movement mit Terrorismus in Verbindung zu bringen, sind die Verteidigungslinie der Netanjahu-Regierung. Letzen Endes stellt sich allerdings vielmehr die Frage, was mit diesem martialischen Auftritt bezweckt werden sollte. Das Abseilen einer Spezialeinheit von Hubschraubern war schließlich völlig überflüssig, um die Schiffe zu stoppen. Zudem wäre unnötig gewesen, diese Aktion in internationalen Gewässern durchzuführen 6. Insofern drängt sich der Verdacht auf, daß die israelische Regierung einen Vorwand suchte, um sich vor den Gesprächen mit der amerikanischen Regierung zu drücken. Schließlich sagte Benjamin Netanjahu sein Treffen mit Barack Obama nach dem Vorfall ab. Das harte Vorgehen der israelischen Armee hat nun jedoch die Blockade des Gazastreifens auf die Agenda der internationalen Gemeinschaft gesetzt, Israel Sympathien gekostet und die Legitimation seiner Politik in Frage gestellt.

Neben einer Verurteilung Israels durch den UN-Sicherheitsrat kam es auch zu zahlreichen Kundgebungen weltweit. Zwischen Jerusalem und Ramallah kam es bei einer Protestkunggebung von Friedensaktivisten am Checkpoint Kalandia zu einem Vorfall, bei dem eine amerikanische Kunststudentin aus New York ihr rechtes Auge velor, als sie von einer Tränengasgranate der israelischen Armee getroffen wurde. Aktivisten bezeugen, die Armee habe direkt auf sie mit Tränengasgranaten geschossen.

  • 1. Internationale Pressestimmen finden sich in der Deutschlandfunk Presseschau vom 1., 2., und 3. Juni; eine weitere findet sich bei Presseurope
  • 2. Diese Auffasung wird neben diesem Spiegel Online-Beitrag auch von der Süddeutschen Zeitung sowie von der langjährigen ARD-Korrespondentin Bettina Marx geteilt. »In der Wagenburg«: SZ 2.6.2010. »Israel in der Wagenburg«: Quantara
  • 3. Der Beitrag wurde mitlerweile geändert, hier beziehe ich mich auf die Version vom 2. Juni 2010 um 01:15
  • 4. Der Autor Evan F. Kohlmann steht der amerikanischen Nachrichtendienstgemeinde nahe.
  • 5. Der Leiter Reuven Erlich ist ein »ehemaliger« Oberst der IDF, dem allerdings laut verschiedener Quellen Fachleute des Militärs unterstehen. vgl. Wikipedia
  • 6. »Dabei hatten die Rechtsberater der Marine laut Haaretz ausdrücklich empfohlen, abzuwarten, bis die Flottille den von Israel verhängten Zwanzig-Seemeilen-Bann vor Gaza erreicht habe.« Frankfurter Rundschau. Operation »Himmelswind« vom 1.6.2010

Kommentare

»Das harte Vor­ge­hen der

»Das harte Vor­ge­hen der is­rae­li­schen Armee hat nun je­doch die Blo­cka­de des Ga­za­strei­fens auf die in­ter­na­tio­na­le Agen­da ge­setzt und Is­ra­el wei­ter *Le­gi­ti­ma­ti­on* und Sym­pa­thi­en ge­kos­tet.«

Bitte was?

Formulierung

Ich habe die Formulierung umgestellt; ich hoffe sie ist jetzt verständlicher.

Oh je, das soll kritischer

Oh je, das soll kritischer Journalismus sein? Recherche bei http://www.memri.org hätte bestimmt geholfen. Oder hier: http://www.terrorism-info.org.il/malam_multimedia/English/eng_n/html/hamas_e105.htm .

Welche Quellen?

Dem geneigten Leser scheint entgangen zu sein, daß wir auf Quelle (2) in dem Artikel ausführlich eingegangen sind. Memri dagegen steht der amerikanischen Regierung nahe, Kritik gibt es auch in den Medien – siehe auch den deutschsprachigen WP-Eintrag.

Dies nicht zu erwähnen, und uns schlechte Recherche vorzuwerfen, könnte bisweilen auf Unverständnis stoßen.

Naja

Also wenn schon von Propaganda-Schlacht reden, dann dürfen wir Freund Erdogan nicht auslassen.

Sehr richtig!

Siehe Neuer Kurs. Kai Strittmacher hat heute in der SZ einen langen Artikel über Erdogans Politik, dieser ist leider nicht Online.

Zu dem Zeitpunkt des Beitrags war dies aber noch nicht so sehr Thema. Letzlich ist der politische Islam in der Türkei, aus dem Erdogan ja kommt, insgesamt ein spannendes Thema, an das sich bisher kaum jemand getraut hat: Eine sehr widersprüchliche Bewegung, von liberal-koservativ bis radikal.

Auch an der IHH gibt es berechtigte Zweifel. Dieser Beitrag sollte sie auch nicht freisprechen – lediglich wurden die angeführten Quellen als parteilich und einseitig entlarvt.

Kritischer Bericht über die IHH in der taz

Umfangreich recherchierte Fakten sammelt die taz über die IHH und deren Vorgehen. Diese kommt dabei alles andere als gut weg. Doch letzlich bleibt der genaue Ablauf auf dem Schiff ungeklärt.

SWR Report Mainz: Fragwürdige Friedensmission