Magazin Beitrag
Der ganz alltägliche Rassismus
Wir geben uns erschreckt, wenn wir von mordenden Nazibanden erfahren, die gezielt unsere Mitbürger mit ausländischen Wurzeln töten. Wir mögen es nicht besonders, wenn Rechtsextremisten in unseren Straßen marschieren und wir senken verschämt den Blick, wenn uns ein Nazi in der Fußgängerzone sein ausländerfeindliches Pamphlet in die Hand drücken will. Wenn sich der Faschismus lautstark und brutal ins Gespräch bringt, dann löst er bei uns eine Abwehrreaktion aus, die teils der Erinnerung an unsere Geschichte und teils der Sorge um unsere Reputation geschuldet ist. Doch wie sieht es mit unserer Gegenwehr aus, wenn wir mit dem ganz alltäglichen Rassismus konfrontiert werden?
Kleingartenverein Harksheide-Kringelkrugweg
Am 30. Oktober diesen Jahres kamen die Mitglieder des Kleingartenvereins Harksheide-Kringelkrugweg in Norderstedt zu einem „schmackhaften“ Grünkohlessen zusammen. Man nutzte das traditionelle Treffen, um über einen Antrag abzustimmen. Der Verein will sich selber eine „Migrantenquote“ verpassen. Die Beschwerden über nichtdeutsche Pächter haben sich in der letzten Zeit gehäuft. Zu laut sollen sie gefeiert und sich der Tradition des Vereins zu wenig angepasst haben. Daher wurde mehrheitlich beschlossen, künftig höchstens 9 der 73 Parzellen der Anlage an Pächter mit ausländischen Wurzeln zu vergeben. Das entspricht einem Anteil von 12,6 Prozent. Auf diese Zahl ist man gekommen, weil sie der „Migrantenquote“ in Schleswig Holstein entspricht. Insgesamt haben 59 von 70 Mitgliedern für die Beschränkung gestimmt. Mit deutscher Gründlichkeit wollen die Vereinsmitglieder sogar innerhalb der angestrebten Quote eine weitere Quotierung vornehmen. 25 Prozent der neun „Migranten-Parzellen“ sollen künftig an Türken und Araber vergeben werden, 25 Prozent an Osteuropäer und 50 Prozent an Gartenfreunde anderer Nationalitäten.
Ein gutes Gewissen scheinen die treudeutschen Gärtner nicht gehabt zu haben: Man einigte sich nämlich darauf, das Sitzungsprotokoll nicht an die örtliche Presse weiterzuleiten, da zu viel Öffentlichkeit dem Zusammenhalt der Vereinsgemeinschaft schaden könnte. Der Vorgang landete stattdessen beim Bürgermeister von Norderstedt. Hans-Joachim Grote (CDU) wurde daraufhin aktiv und drohte dem Vereinsvorstand mit der Kündigung des Pachtvertrages, falls der Beschluss nicht kurzfristig aufgehoben würde. Am 15. Dezember wollen die Kleingärtner nun erneut zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zusammenkommen und erneut über die „Migrantenquote“ verhandeln.
Unterstützung von rechts
Durch das Einschreiten des Bürgermeisters ist die Angelegenheit mittlerweile öffentlich geworden. Der Landesverband der Gartenfreunde, der Deutsch-Türkische Freundschaftsverein, die Kirchen, die FDP, die SPD und die Grünen kritisieren den Verein und sein gespaltenes Verhältnis zum Grundgesetz. Im Artikel 3, Absatz 3, Satz 1 heißt es hier, dass niemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat oder seiner Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
Unterstützung erhalten die Kleingärtner von der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Hier macht der Gerhard-Löwenthal-Preisträger Michael Paulwitz in einem Kommentar ein ganz großes Fass auf, um den rassistischen und diskriminierenden Beschluss des Vereins zu rechtfertigen. Paulwitz setzt hierzu Migrantenquoten, die eine Mindestbeteiligung von Mitbürgern mit ausländischen Wurzeln sichern sollen mit der grundrechtefeindlichen Beschränkung durch die Kleingärtner gleich und moniert zynisch:
„Wenn dann aber mal ein deutscher Verein freiwillig, ganz ohne Druck von oben, eine „Migranten-Quote“ einführt, dann ist es auch wieder nicht recht.“
„Ausländerquoten sind nur dann gut, wenn sie mehr Ausländer irgendwo reinbringen – und nicht etwa weniger.“
Der Autor zeigt Verständnis für die Vereinsmitglieder, denen „ihre Integrationsprobleme über den Kopf gewachsen“ sind. Ihren guten Willen belegt er mit dem Plan der Kleingärtner, sogar „eine Boccia-Bahn bauen“ zu wollen. Was ein italienisches Kugelspiel mit der ernsthaften Bemühung um Integration zu tun haben soll, dass enthält Paulwitz seinen Lesern vor. Er zitiert den Vorsitzenden des Kleingartenvereins, der beteuert, man habe nichts gegen Ausländer. Nur „wenn es zu viele würden, störten sie das Zusammenleben“. Resümierend heißt es in dem Artikel:
„Wenn’s mit der Integration nicht klappt, ist das das Problem der Einheimischen, die müssen sich mehr anstrengen, und wer aufbegehrt, der kriegt eins auf die Mütze.“
Vermeintliche Tradition
Der Kleingarten an und für sich ist eine Ikone des deutschen Spießertums. In Vereinen, die sich mit der geordneten Bewirtschaftung von Gartengrundstücken beschäftigen und in deren Satzungen von Rasenlängen, Laubenhöhen, Ruhezeiten und terminierter Fröhlichkeit die Rede ist, rechnet man heute nicht unbedingt mit einem Übermaß an weltoffenen und aufgeklärten Mitgliedern.
Historisch betrachtet gehen die heutigen Kleingärten allerdings auf die sogenannten Armengärten zurück, die ab Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden, um der armen und notleidenden Bevölkerung die Möglichkeit zur ergänzenden Selbstversorgung zu geben. Der erste dieser Gärten entstand im Jahr 1806 in Kappeln, nur gut 100 Kilometer von Norderstedt entfernt, wo sich die Mitglieder des Kleingartenvereins Harksheide-Kringelkrugweg heute ausschließlich auf eine vermeintliche Tradition besinnen wollen.
Von Solidarität, Klassenbewusstsein oder Gemeinschaftsgeist ist hier nur noch wenig zu spüren. Stattdessen bemüht man sich in Norderstedt um gesellschaftliche Spaltung, um die Ausgrenzung von angeblichen Störenfrieden der deutschen Ordnung und um die ausgiebige Pflege rassistischer Traditionen. Nun sollte man den Aktionismus eines provinziellen Traditionsvereins und seiner kruden Auffassungen nicht zum verbindlichen Modell einer kompletten Gesellschaft und ihres Umgangs mit vermeintlich Andersartigen erklären. Und doch: Das Abstimmungsverhalten der Kleingärtner ist ein alarmierendes Zeichen für den weit verbreiteten und ganz alltäglichen Rassismus in unserem Land. Wir begegnen ihm täglich, wenn es wieder einmal heißt man habe ja nichts gegen Ausländer, wenn es nur nicht zu viele sind.
Unser Rassismus beginnt bereits bei der vordergründigen Unterscheidung zwischen Einheimischen und „Gästen“ und bei der Zuweisung spezifischer Eigenschaften und nicht erst bei der Ausgrenzung und der Forderung nach limitierenden Quoten. Wenn die rechte Presse Alltagsrassisten zu vorbildlichen Kämpfern für Tradition und deutsches Bewusstsein stilisiert, dann ist es höchste Zeit entschieden zu reagieren.