Presseschau Organisationen

Ausgeträumt

Auflösungstendenzen in Europa

Gewiss, das Projekt eines friedlichen, vereinten Europas wurde schon immer vorzugsweise in Sonntagsreden bemüht. Dennoch dürfen seine Errungenschaften nicht unterschätzt werden - genausowenig, wie die Vereinigung ein Selbstläufer ist. Gerade in den letzten Jahren verstärken sich jene Tendenzen, die dieses säkulare Projekt infrage stellen. Das gilt für die Ebene der Staaten und für die der innerstaatlichen Regionen, meint Orlando Pascheit. Einmal zeige sich dies am Agieren der wirtschaftlich starken Länder wie Deutschland gegenüber der kriselnden Peripherie, zum anderen an den Absetzbewegungen der leistungsfähigen Regionen wie Katalonien, Norditalien oder hierzulande auch Bayern. Im schlimmsten Falle drohe nun eine Entwicklung ähnlich der Jugoslawiens in den 80er und 90er Jahren. Und das kann eigentlich niemand wünschen.

Kawumm für die Heimatfront

Ein Comicalbum über den Afghanistankrieg

Arne Jysch hat eine vielbeachtete Comic-Geschichte über die Bundeswehr in Afghanistan geschrieben und gezeichnet. Unterstützt wurde er dabei nicht zuletzt auch von der Armee selbst. Michael Schulze von Glaßer hat das Werk nun eingehend analysiert. Dabei kommt er zu einem durchaus differenzierten Fazit: Es gebe mehrfach Kritik an dem Einsatz, geäußert von einzelnen Protagonisten der Story. Dennoch reproduziere Jysch auch fragwürdige Stereotype - beispielsweise von den idealistischen deutschen Soldaten oder den fanatischen Taliban. Zugleich prangert der Autor auch die Ignoranz der Heimat gegenüber der Truppe an. Schulze von Glaßers abschließendes Urteil:

Für die Armee ist „Wave and Smile“ ein Glücksfall: auch wenn die Militärführung in dem Comic nicht gut wegkommt und Kritik an der Bürokratie in der Armee geübt wird, war Arne Jyschs Buch ein medialer Werbe-Coup der Bundeswehr. Nahezu alle großen deutschen Medien haben sehr positiv über die Veröffentlichung und damit auch über den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch berichtet – damit unterstützt „Wave and Smile“ die Bundeswehr bei der Bekämpfung des „freundlichen Desinteresses“ ihnen und ihrem Einsatz gegenüber.

Doppeltes Spiel auf allen Seiten

Warum bei den afghanischen Kriegstagebüchern der brisanteste Teil fehlte
US-Spezialkräfte in Afghanistan
US-Spezialkräfte in Afghanistan Bild von ISAF

Marc Thörner zeichnet im Deutschlandfunk die Veröffentlichung der afghanischen Kriegsmeldungen des amerikanischen Militärs durch Wikileaks und Partnermedien Ende Juli 2010 nach. In diesem bemerkenswerten Feature enthüllt Thörner, warum der brisanteste Teil dieser Geheimdienstsammlung niemals veröffentlicht wurde. Die Warlords der Nordallianz, welche nach der Invasion die Macht in den nördlichen Provinzen übernahmen, unterstützten die Taliban, um die Schwäche der Regierung in Kabul sichtbar zu machen. Der Tadschikenführer Mohammed Atta Nur und der Usbekenführer Raschid Dostum planten die Absetzung der Regierung Karsai um selbst die Macht zu übernehmen. Als Reaktion verbündete sich Karsai mit paschtunischen Milizen. Weiterlesen … »

Zeit für eine Wende

Eine Korrektur von Steuer- und Finanzmarktpolitik wäre notwendig

Die Wohlhabenden unter den Deutschen besitzen ein gewaltiges Vermögen, etwa 7,2 Billionen Euro. Wohlgemerkt: die Wohlhabenden. Denn ein Drittel dieses Eigentums konzentriert sich auf das reichste Prozent, ein weiteres Drittel auf die folgenden neun Prozent der Bevölkerung. Ein Großteil dagegen verfügt über keinerlei Vermögen. Die Verbindung aus »Bankenrettungspaketen« in der Finanzkrise und der sozial unausgewogenen Steuerpolitik der letzten Dekade hat zu dieser Entwicklung erheblich beigetragen. Zugleich stiegen die staatlichen Schulden in schwindelerregende Höhe. Angebracht wäre deshalb eine Belastung eben dieser Privatvermögen - um weitere Kürzungen bei notwendigen Ausgaben zu vermeiden und stattdessen all das zu finanzieren, das wirklich der Gesamtheit zugute kommt, findet Dierk Hirschel. Die Vermögensabgabe ist auf diesem Weg allerdings nur ein erster Schritt.

Der Anstieg der Staatsverschuldung ist nicht das Ergebnis laxer Haushaltspolitik, sondern Folge einer schamlosen politischen Reichtumspflege und der großen Finanzmarktkrise. Das Gemeinwohl schrumpfte zugunsten steigender Vermögen. Und jetzt sollen die Schuldenberge dadurch abgetragen werden, dass abhängig Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose den Gürtel enger schnallen. Damit muss endlich Schluss sein. Die Schuldenfrage ist eine Verteilungsfrage. Der private Reichtum muss jetzt zum Abbau der Staatsschulden herangezogen werden. In den letzten Wochen wurde in diesem Zusammenhang verstärkt über das Instrument einer Vermögensabgabe diskutiert. Das ist gut so. Eine einmalige Vermögensabgabe auf Geld-, Immobilien- und Betriebsvermögen könnte einen wichtigen Beitrag leisten, um den milliardenschweren Schaden der Finanzmarktkrise zu beheben.

Kritik à la carte

Demokratische Defizite werden in Europa weitgehend ignoriert
The winner takes it all: Parlament in Bukarest
The winner takes it all: Parlament in Bukarest Bild von Nanel4

Undurchschaubare Ränke beherrschen die Politik in Rumänien. Ebenso wie die Nachbarstaaten Ungarn und Bulgarien ist der Karpatenstaat alles andere als eine Musterdemokratie, und trotz des Beitritts zur Europäischen Union ist das Land eines der ärmsten Europas. Um soziale Kämpfe handelt es sich beim Streit zwischen Ministerpräsident Victor Ponta und dem Präsidenten Traian Basescu jedoch nicht. Vielmehr geht es um einen Machtkampf. Der Präsident soll wegen unrechtmäßiger Ausdehnung seiner Kompetenzen des Amtes enthoben werden. Nach der Suspendierung durch das Parlament soll das Volk darüber befinden. In diesem Verfahren beschneidet das Parlament jedoch die Rechte des Verfassungsgerichts. Das wiederum empört europäische Regierungen – weit stärker als die Kompetenzüberschreitungen des Präsidenten. Dieser hatte sich zuvor durch seine Sparpolitik gegenüber Brüssel erkenntlich gezeigt. Zugleich ist er durch herablassende und rasssistische Bemerkungen gegenüber Minderheiten bekannt.

Andere Stimmen kritisieren seinen Opponenten, den Ministerpräsidenten Ponta, dessen Ansehen durch eine Plagiatsaffäre gelitten hat. Ponta betreibe das Amtsenthebungsverfahren mit Hilfe seiner Koalition aus Sozialdemokraten und Liberalen, um die Justiz unter Kontrolle zu bekommen, liest man in der Le Monde: Somit solle die Behörde zur Korruptionsbekämpfung unter Kontrolle gebracht werden. Zudem verfolge er die Interessen des undurchsichtigen Politikers und Medienmagnaten Dan Voiculescu, dem Verbindungen zur ehemaligen Staatssicherheit Securitate nachgesagt werden. Weiterlesen … »

Sonnenkönig im Fußballreich

Der Führungsstil des Sepp Blatter
Sepp Blatter
Sepp Blatter Bild von republicoftogo.com

Im jüngsten Korruptionsfall beim Fußball-Weltverband FIFA ist sie wieder zu beobachten, die selbstherrliche Amtsauffassung des Präsidenten Sepp Blatter. Schon viele Skandale hat er überstanden, manchen lästigen Konkurrenten ausgebootet. Zuletzt den Gegenkandidaten Mohamed Bin Hamam, der nach lancierten Bestechungsgerüchten erst gar nicht zur Wahl antrat. Seine Macht gründet sich dabei auf das erfolgreiche Geschäftsgebaren des Verbandes. Früher finanziell oft in arger Bedrängnis, hat Blatter die FIFA zu einem hochprofitablen Konzern umgebaut. Damit kauft er sich vor allem die Zustimmung der kleinen, von diesen Geldern abhängigen Landesverbände. Aber selbst die mächtigen nationalen Organisationen wie der größte von ihnen, der deutsche DFB, tanzen nach Blatters Pfeife.

Halbe Sachen?

Nochmals zum Vorschlag einer Vermögensabgabe des DIW

Stefan Bach, Autor der aufsehenerregenden Idee einer einmaligen Vermögensabgabe, nimmt in einem Beitrag für die Zeit Stellung zu den Vorwürfen der Medien und Ökonomen. Vielfach wurde sein Vorschlag als »Enteignung«, als »naiv und gefährlich« oder - mittlerweile allerorten ein fragwürdiges Standardargument - als abträglich für das Vertrauen der Märkte bezeichnet. Dem entgegnet Bach: Jede Steuer ist als Zwangsabgabe ohne direkte Gegenleistung de facto eine Enteignung, also auch beispielsweise die Mehrwertsteuer - die aber untere Einkommensgruppen weit überproportional belastet. Enteignungen sind auch vom Grundgesetz gedeckt, so lange eine Verhältnismäßigkeit gewährleistet bleibt. In den letzten Jahren haben Vermögende ohnehin von Reformen im Steuerrecht massiv profitiert. Im Übrigen würden mögliche Staatspleiten oder ein Ende des Euros Reiche weit mehr kosten als diese Maßnahme. Weiterlesen … »

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