Presseschau Organisationen

Arbeit an der Macht

Der Staatsumbau in Ungarn unter Victor Orban

Der Philosophieprofessor und Vorsitzende der Linken Grünen Partei in Ungarn Gáspár Miklós Tamás beschreibt in der Le Monde diplomatique die Situation in Ungarn. Die Regierung des Viktor Orbán betreibe den Abbau des Wohlfahrtstaates – und setzt somit die Entwicklung nach dem Umbruch 1989 fort. In einem Klima der Unsicherheit sehnen sich die Ungarn zunehmend nach dem »autoritären Wohlfahrtsstaat« zurück. Dieser habe durchaus eine ländliche und rückständige Gesellschaft modernisiert, jedoch um den Preis von Heuchelei und Zensur.

Die Orbán-Regierung strebt einen neuen Nationalismus an. Mit einer Flut von Gesetzen soll die erreichte Macht zementiert werden. So wurden allein am 23.12.2011 307 Gesetze verabschiedet. Diese führen dazu, daß der Staatsumbau nicht mehr umfassend vom Verfassungsgericht eingeschränkt werden kann. Der Regierung ermöglichen sie eine weitgehende Umbesetzung von Verwaltungsposten. Victor Orban will eine auf Arbeit aufbauende Gesellschaft: De facto bedeutet dies den Arbeitszwang für Arbeitslose mit Löhnen unter dem Existenzminimum. Für den Erhalt staatlicher Transferleistungen dürfen sie keine Arbeit mehr ablehnen.

Geschichte wiederholt sich nicht?

Rechtsradikale und die deutsche Justiz
Geschichte wiederholt sich nicht?
Bild von D Petzold Photography

Heute ist er leider nur noch Historikern ein Begriff: Emil Julius Gumbel. Dabei war er einmal einer der meistgehassten Männer Deutschlands. In einer Zeit nämlich, als rechte Täter ihr Unwesen trieben gegen alles, was ihnen zu demokratisch, links oder jüdisch erschien. Akribisch trug der gelernte Statistiker umfangreiches Material zusammen über die Behandlung politisch motivierter Morde in den Anfangsjahren der Weimarer Republik durch die Justiz. Das Ergebnis: 354 Mörder von rechts gab es, davon wurden 326 nie bestraft; bei 22 entsprechenden Tätern von links nur vier. Und auch das Strafmaß fiel in beiden Kategorien völlig unterschiedlich aus. Die Auflistung blieb freilich ohne greifbares Ergebnis, Gumbel wurde ignoriert, angefeindet und sogar tätlich angegriffen. Während seine Gegner im Nationalsozialismus und danach eifrig Karriere machten, blieb er weitgehend im gesellschaftlichen Abseits.

Imperialer Habitus

Eine neue Strategie für Deutschland in der Welt
Imperialer Habitus
Bild von stevecadman

Vor wenigen Tagen beschloss das Bundeskabinett eine Neuausrichtung bzw. Ergänzung der deutschen Außenpolitik. Neben den traditionellen Verbündeten in EU und NATO sollen verstärkt politisch und ökonomisch wichtige Schwellenländer in allen Erdteilen zur Zusammenarbeit gewonnen werden. Dazu gehören beispielsweise Indien, Brasilien und Südafrika, möglicherweise auch Mexiko und Indonesien. Das erklärte Ziel der Bemühungen ist es, Deutschlands Macht und Einfluss weltweit zu stärken:

Durch diese Partnerschaften wollen wir den Spielraum, die Reichweite und das Wirkungsvermögen unserer gemeinsamen, globalen Gestaltungskraft in einer multipolaren Welt erhalten und ausbauen.

Die Kooperationen sollen sich auf eine breite Palette von Bereichen erstrecken. Es geht etwa um den Aufbau von Netzwerken in Kultur und Wissenschaft, um die lokalen Eliten an Deutschland zu binden. Aber auch militärische und polizeiliche Projekte werden angedacht, beispielsweise die Entsendung von Militärberatern oder Waffenlieferungen. Die Strategie als Ganze ist dabei durchaus langfristig angelegt und soll offenbar Deutschland unabhängiger von den USA machen, zugleich auch nationale Alleingänge ohne die bisherigen Partner ermöglichen.

Kampf ums Wissen

Proteste gegen ACTA-Abkommen verhindern Ratifizierung
Proteste gegen ACTA in Frankfurt/Main
Proteste gegen ACTA in Frankfurt/Main Bild von Stopped

Das Urheberrechtsabkommen ACTA stellt den Versuch der rechteverwertenden Industrie dar, ihre Interessen an geistigem Eigentum durch einen internationalen Staatsvertrag durchzusetzen. In diesem Vertragswerk sollen sehr unterschiedliche Fragen wie Generika von Arzneien, gefälschte Markenartikel, Patente auf Maschinen oder das Kopieren von Musikstücken im Internet international vereinheitlicht und die Position als Rechteinhaber legitimiert werden.

Das Konzept des geistigen Eigentums steht der freien Verwertung entgegen – das spiegelt eine veränderte Wirtschaftsform im digitalen Zeitalter wieder. Dabei steht dem Schutz der eigenen Patente und Rechte eine veränderte Gesellschaft entgegen, die bei der Aushandlung hinter verschlossenen Türen nicht eingebunden war. Den Lobbyisten auf der einen Seite ist entgangen, daß mit der Datenschutz-Bewegung eine einflußreiche Gegenlobby entstanden ist, die ihre Anliegen in die Öffentlichkeit trägt. Zugleich stellt die Entstehung des Abkommens die Intransparenz und Wirtschaftslastigkeit der Handelspolitik dar. Die Befürworter sehen in dem Abkommen die Fixierung von in der EU bereits geltenden Regeln, die Gegner ein Machtinstrument der Verwertungsindustrie. Einige Fragen zum Abkommen beantwortet die Welt. Frank Schiemichen fordert eine umfassende gesellschaftliche Debatte über die Verwertung geistigen Eigentums:

Die Diskussion um Acta zeigt, wie schwer wir uns tun, unter den Bedingungen der digitalen Umwälzungen neue Regeln zu finden. Für die meisten Menschen ist das, was im Netz passiert, unüberschaubar kompliziert. Aber es wird Auswirkungen darauf haben, wie wir alle in Zukunft wirtschaften, denken und leben.

Händel um den Handel

EU-Indien-Abkommen bleibt weiter in Verhandlungen stecken
Händel um den Handel
Bild von Axel Weipert

Seit 2007 verhandeln die EU und Asiens drittgrößte Volkswirtschaft um ein Freihandelsabkommen. Doch noch immer sind viele Fragen offen, auch die aktuelle Gesprächsrunde brachte keinen Durchbruch. In Europa drängen vor allem die großen Konzerne und Lobbyverbände auf einen raschen Abschluss. Sie versprechen sich viel von dem gewaltigen Wachstumsmarkt Indien mit seinen 1,2 Milliarden Menschen. Dort gibt es jedoch – zu Recht – erhebliche Vorbehalte. Die Bauern fürchten Importe subventionierter europäischer Lebensmittel ebenso wie kleine Ladenbesitzer die Konkurrenz von Supermarktketten. Und wenn Autos nur importiert statt vor Ort gebaut werden, dürfte sich der erhoffte Technologietransfer in Grenzen halten. Die Befürchtungen haben zu umfangreichen Protesten in Indien geführt. Auch deswegen wurde das Abkommen vorerst blockiert. Schon vor einiger Zeit kam eine Studie der NGO Weed zu einem eindeutigen Fazit:

Insgesamt zeigt sich, dass das EU-Indien-Freihandelsabkommen gravierende Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Existenzgrundlagen der indischen Bevölkerung haben wird und gleichzeitig den politischen Handlungsspielraum für zukünftige Regierungen erheblich einschränkt.

Gerechtigkeit nicht erwünscht

Die Bundesregierung spielt im Ringen um mehr Gerechtigkeit in der Textilindustrie keine rühmliche Rolle
Aktivisten vor einer Lidl-Filiale in Wien
Aktivisten vor einer Lidl-Filiale in Wien Bild von Clean Clothes Campaign

Dass die globale Textilienproduktion unter sozialen wie ökologischen Gesichtspunkten moralisch kaum vertretbar ist, belegen mittlerweile zahlreiche Berichte und Studien.

Auch bei der Europäischen Union (EU) scheint das Bewusstsein für das Problem zu wachsen. So arbeitet die EU-Kommission aktuell an einer neuen Handelsrichtlinie, die Unternehmen dazu verpflichten soll, ihre Produktions- und Handelsketten offenzulegen. Es soll in Zukunft überprüft werden können, ob die Unternehmen, die von ihnen eingegangenen, aber oft nicht befolgten Verhaltenskodizes befolgen. Weiterlesen … »

Widerspruch im Widerstand

Den Gegensätzen in der russischen Oppositionsbewegung wird bislang aus dem Weg gegangen
Demonstration am 4. Februar in Moskau
Demonstration am 4. Februar in Moskau Bild von Antony Dovgal

Die russische Oppositionsbewegung hat mit ihren Protesten in den vergangenen Monaten erstmals seit vielen Jahren Akzente gesetzt und politischen Einfluß geltend gemacht. Diesem Schritt in die politische Öffentlichkeit folgt die Frage nach den Akteuren: Wer organisiert die Proteste? Einen Einblick gewährt eine Reportage von Ute Weinmann in der Jungle World. Demnach waren Aktivisten der »Linksfront«-Bewegung entscheidend für die Anmeldung der Demonstrationen. Doch mittlerweile sind Liberale und Rechte in das Bündnis eingetreten. Denn die Idee vollständiger Offenheit hat sich bislang in dem Bündnis durchgesetzt. Da die Liberalen besser organisiert sind, indem sie beispielsweise als Erste ein Programm vorlegen konnten, gewinnen sie an Einfluß. Doch es regt sich Widerspruch an dem Offenheitsprinzip, da äußerst rechte Gruppen mit am Tisch sitzen – und Rußland hat ein gravierendes Problem mit Nationalismus.

Die weitere Entwicklung der Oppositionsbewegung bleibt somit offen: Weder haben alle Parteien ihre Ziele deutlich benannt, noch ist klar, welche Vorstellungen sich in dem Bündnis durchsetzen werden. Neben den genannten Akteuren sitzen auch Bürgerinitiativen und diverse andere Gruppierungen mit am Tisch.

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