Medium Le Monde diplomatique

Eine merkwürdige Verbindung

Zum Erfolg der britischen UKIP

Owen Jones beschreibt die Situation der britischen UK Independence Party, die seit geraumer Zeit das etablierte Parteiengefüge in Großbritannien durcheinanderwirbelt. Gründe für ihren Erfolg sieht er in der schwierigen sozialen und ökonomischen Lage des Landes. Während die Konservativen auf die Wahlergebnisse von UKIP mit einem deutlichen Rechtsruck reagierten, habe es die sozialdemokratische Labour Party versäumt, eine überzeugende Alternative zu formulieren.

Der Autor verweist auf die eigentümliche Tatsache, dass viele Wähler der UKIP zwar aus der Arbeiterschaft kommen, die Partei in ihrer Programmatik dagegen eine dezidiert unternehmerfreundliche Linie verfolgt, beispielsweise in der Sozial- und Steuerpolitik. Wichtigstes Merkmal ihrer Argumentation ist die Kombination aus Ausländerfeindlichkeit und Kritik an der Europäischen Union. Jones geht zwar nicht von einer baldigen Regierungsübernahme der UKIP aus, denn das britische Mehrheitswahlrecht bevorzugt die beiden etablierten Großparteien. Aber allein ihre Existenz könnte diese traditionellen Kräfte zu einem Kurswechsel nach rechts zwingen - erste Anzeichen dafür sieht Jones in entsprechenden Kampagnen der Konservativen.

Schottische Unabhängigkeit - wozu?

Ein Diskussionsbeitrag

Im September steht das Referendum über die schottische Unabhängigkeit an. Der Befürworter Neal Ascherson zählt eine Reihe von Gründen auf, die dafür sprechen. So glaubt er beispielsweise, soziale Errungenschaften in einem schottischen Staat besser schützen zu können. Außerdem argumentiert Ascherson, die Befürworter seien vielfach eher von Labour enttäuschte Wähler als wirkliche Unterstützer der nationalistischen SNP. Und schließlich wäre mit der Unabhängigkeit ein Verbleib in der EU sicherer - ein gerade in Zeiten der europäischen Krise vielleicht überraschendes Argument. Insgesamt ein sicher kontroverser, aber doch lohnender Text über ein in Deutschland wenig wahrgenommenes Phänomen.

Kalter Putsch

Zur Lage in Paraguay
Straßenverkäuferin in Concepción
Straßenverkäuferin in Concepción Bild von micmol

Vor knapp einem Jahr wurde der linke Präsident Paraguays, Fernando Lugo, in einem fragwürdigen Verfahren vom Parlament abgesetzt. Anlass war ein Gefecht zwischen Kleinbauern und Polizisten, bei dem 17 Menschen starben. Nun schickt sich die Rechte an, bei den Neuwahlen von Präsident und Volksvertretung einen großen Sieg einzufahren. Dann könnten die Colorados erneut an die Macht zurückkehren, die sie bis 2008 für über sechzig Jahre besaßen. Ihr bekanntester Akteur war der jahrzehntelang brutal regierende Alfredo Stroessner.

Paraguay ist noch immer eine zutiefst patriarchale und gespaltene Gesellschaft. Armut, wirtschaftliche Rückständigkeit und eine weit verbreitete Korruption grassieren im Land. Die zaghaften Reformversuche Lugos etwa im Bildungsbereich drohen nach der Wahl endgültig rückgängig gemacht zu werden. International gab es insbesondere in den lateinamerikanischen Staaten große Vorbehalte gegen den erzwungenen Rücktritt Lugos. Mittlerweile hat man sich aber im Ausland damit abgefunden und sucht nun den Schulterschluss mit den kommenden Machthabern.

Von Scheichs und Scheinen

Wer befeuert eigentlich die Kommerzialisierung des Fußballs?
Von Scheichs und Scheinen
Bild von Paolo Camera

Niels Kadritzke gibt einen lesenswerten Überblick zur Lage im Profifußball. Dabei werden auch strukturelle Veränderungen deutlich. Bis vor wenigen Jahren waren es vor allem schwerreiche Mäzene wie Roman Abramowitsch, diverse Ölscheichs oder Massimo Moratti, die sich für dreistellige Millionenbeträge Spieler, Erfolge und damit Prestige kauften. Daneben gibt es nun den Typ Investor, der auf einen finanziellen Rückfluss hofft, so etwa die Glazer-Familie im Fall von Manchester United.

Das große Geld kommt immer weniger von den Zuschauern im Stadion, wichtiger sind mittlerweile Fernsehgelder, Werbeeinnahmen und Marketing. Die zunehmende Attraktivität des europäischen Clubfußballs besonders in Asien führt dazu, dass auch dortige Geldgeber Mannschaften kaufen. Die lauthals beklagte Söldnermentalität der Profis hat letztlich aber auch die Ursache, und darin unterscheidet sich Kadritzkes Analyse von anderen, dass die Fans das Geschehen weitgehend kritiklos hinnehmen. Jedenfalls so lange, wie »ihr« Verein Stars kauft und Investoren anlockt. Die Kommerzialisierung droht allerdings mittelfristig den sportlichen Wettbewerb zu verzerren, die Ligen bringen immer häufiger dieselben Titelträger hervor. Interessant auch ein Detail am Rande: Sowohl die Eintrittskarten wie auch die Spielergehälter stiegen in den vergangenen zwanzig Jahren weitaus stärker als die Durchschnittseinkommen. Je mehr die Fans bezahlen, desto größer wird die Kluft zwischen ihnen und dem Sportspektakel.

Eskalation als Reaktion

Chinas Außenpolitik wandelt sich dramatisch
Japanische Küstenwache im Gebiet der Senkaku-Inseln
Japanische Küstenwache im Gebiet der Senkaku-Inseln Bild von Al Jazeera English

Lange Jahre galt für die Volksrepublik China die klare Vorgabe von Deng Xiaoping: Territoriale Konflikte mit Nachbarstaaten sollten möglichst vermieden oder gütlich beigelegt werden. Das war angesichts der nachholenden Entwicklung durchaus eine clevere Strategie, denn nur so konnte das Land ungefährdet wachsen.

Mittlerweile zeichnet sich aber in dieser Hinsicht ein Wandel ab. Denn China tritt immer aggressiver auf dem internationalen Parkett auf. So etwa in den Konflikten mit den Philippinen und Vietnam, wo es neben einigen Inseln vor allem um Öl, Gas und Fischereirechte geht. Treibende Kräfte sind in dieser Hinsicht aber weniger die Führer im fernen Peking, sondern regionale Machthaber und Unternehmen. Dabei wenden sie eine geschickte Taktik an: Maßnahmen anderer Länder werden umgehend und massiv beantwortet, sodass China nicht als Initiator erscheint, wohl aber die Verhältnisse zu seinen Gunsten ändern kann. Auch beim Streit mit Japan um Inseln im Ostchinesischen Meer herrscht innerhalb der KPCh keine Einigkeit, wobei die japanfreundliche Fraktion zunehmend an Rückhalt verliert. Nicht zuletzt, weil die Öffentlichkeit auf eine härtere Gangart drängt. Umgekehrt wächst in Japan die Bereitschaft zur Konfrontation. Letztlich führen all diese Auseinandersetzungen zu einer allgemeinen Aufrüstung - die Eskalationsgefahr steigt kontinuierlich an.

Rückkehr zum faulen Frieden

Die Mexikaner wählen den Präsidenten des gescheiterten Drogenkrieges ab
Proteste gegen Wahlfälschung
Proteste gegen Wahlfälschung Bild von ismael villafranco

Die Zustände in Mexiko erinnern in einigen Provinzen an einen Bürgerkrieg. Nach unterschiedlichen Schätzungen fielen dem Drogenkrieg seit 2006 zwischen 50 000 und 65 000 Menschen zum Opfer. Die Graumsamkeiten der großen Kartelle im Kampf um die Vorherrschaft der Schmuggelrouten einerseits und gegen Armee und Polizei andererseits fordern täglich neue Tote, die zur Abschreckung entstellt und verstümmelt werden. Die Strategie des abgewählten Präsidenten Felipe Calderón, den offenen Konflikt zur Eindämmung des Drogenhandels zu wagen, ist somit grandios gescheitert. Fast 3000 Sicherheitskräfte kamen ums Leben, in der Merheit lokale Gemeindepolizisten. Die Glaubwürdigkeit der Regierung hatte auch darunter gelitten, dass gleich drei Innenminister durch Hubschrauberabstürze ums Leben kamen. Die Meinungen über das Scheitern dieser Stategie gehen auseinander:

Die Nachsichtigsten meinen, er habe sich unbedacht in diesen Krieg gestürzt, ohne dessen wahres Ausmaß zu erkennen. Andere behaupten unter Berufung auf Aussagen ehemaliger Beamter, die während der Regierungszeit der PRI mit den Drogenhändlern zusammengearbeitet hatten, dass der »Kreuzzug« Calderóns nur die Vorherrschaft des Sinaloa-Kartells, dem er selbst angehöre, gegenüber dem Golf-Kartell, den Zetas und dem Juárez-Kartell festigen solle.

Wie dem auch sei: Mit dem Wahlsieg des Vicente Fox von der konservativen PAN im Jahr 2000 ging die Jahrzehnte alte Dauerherrschaft der PRI zu Ende – und somit auch deren eingespieltes Korruptionsnetz mit den Drogenbaronen. Mit der Abwahl seines Nachfolgers und Parteigängers Calderón und der Wahl Enrique Peña Nietos von der PRI zum neuen Staatspräsidenten hoffen viele Mexikaner auf die Rückkehr zum alten faulen Frieden.

Konflikt ohne klare Grenzen

Der Aufstand im Niger betrifft auch die benachbarten Staaten
Bamako 2005
Bamako 2005 Bild von Erwin Bolwidt

Die aufständischen Kämpfer im Norden Malis erklärten nach der Eroberung Timbuktus Anfang April ihre Unabhängigkeit. Diese Region grenzt an zahlreiche Staaten in der Sahara. Die Konfliktlinien in Mali sind unscharf, die Grenzen zu den Nachbarländern sind unüberwachbar, da sie über tausende Kilometer durch Wüstengebiete verlaufen. Über die Grenzen sind die Kämpfer im Norden eingesickert: Tuareg-Milizen aus Libyen und islamische Kämpfer aus Algerien. Die internationale Dimension stellt Philippe Leymarie in einer Analyse in der Le Monde diplomatique dar, für die auch eine anschauliche Grafik erstellt wurde. Die vom Militärputsch abgesetzte Regierung zeigte sich weder willens noch in der Lage, die Situation im Norden zu kontrollieren. Schmuggelrouten durch die Sahara ermöglichen die Finanzierung des Aufstandes, zumal die Tuareg in Mali, Niger, Algerien und Libyen ansässig sind. Eine Arte-Sendung der Reihe »Mit offenen Karten« von 2007 veranschaulicht am Beispiel des benachbarten Niger, wie ethnische Grenzen und Klimazonen Landesgrenzen überschreiten und die politische Situation in der Region prägen.

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