Presseschau Muammar al-Gaddafi

Teufel und Beelzebub

Sind die neuen Machthaber in Libyen besser als die alten?
Die umkämpfte Stadt Sirte
Die umkämpfte Stadt Sirte Bild von ExpoSocialism

Schon seit Beginn des libyschen Bürgerkrieges gab es immer wieder Hinweise, dass – von beiden Seiten – massiv Menschenrechte verletzt wurden. Die NGO Human Rights Watch dokumentiert nun einen aktuellen und besonders schweren Fall. Demnach sind vor wenigen Tagen in Sirte, dem letzten Widerstandsort der Gaddafi-Anhänger, über 50 Tote entdeckt worden. Viele Indizien weisen darauf hin, dass sie nicht im Kampf gefallen sind, sondern regelrecht hingerichtet wurden.

Es stellt sich nun die Frage, ob die neuen Machthaber bewusst Tötungen angeordnet haben. Fraglich sind nach wie vor die Umstände von Gaddafis Tod; offenbar ist man an einer detaillierten Aufklärung nicht interessiert. Möglicherweise sind die Vertreter des Übergangsrates aber auch einfach nicht in der Lage, die zahlreichen Bewaffneten im Land zu kontrollieren. Dazu passt, dass es in der letzten Tagen zu zahlreichen Plünderungen gekommen ist.

Holpriger Übergang

Eine Reportage aus Libyen

Gaddafi ist immer noch untergetaucht, und seine Anhänger sind noch keineswegs besiegt. Die Sicherheitslage in Tripolis und anderen Städten ist weiter instabil. Nicolas Pelham hat sich vor Ort umgesehen, schildert den Kampf gegen den Diktator – aber auch den Kampf danach.

Alle Beteiligten versuchen nun, ihren Anteil am Sieg möglichst gewinnbringend in Posten und Privilegien umzumünzen. Das gilt für die Exilanten, für die Überläufer, für die Berber, die Soldaten aus dem Osten und die Aufständischen in Tripolis gleichermaßen. Es ist noch keineswegs entschieden, wer hier das Rennen macht – das gegenseitige Mißtrauen aber wächst in dem Maße, wie der gemeinsame Feind an Bedeutung verliert. Auch die ausländischen Mächte bemühen sich um entsprechende Honorierung ihrer Unterstützung.

Gleichung mit vielen Unbekannten

Die neuen Machthaber in Libyen

Noch immer ist weitgehend unklar, wer die neuen Machthaber eigentlich sind und für welche politischen Ideen sie stehen. Im Wesentlichen kann man drei Gruppen ausmachen: Die westlich orientierten ehemaligen Exilanten, die alten Weggefährten Gaddafis, die rechtzeitig abgesprungen sind. Und, als dritte im Bunde, die Islamisten, die auch schon höhere Posten bekleiden.

Dem Übergangsrat geht es aktuell offenbar darum, möglichst viele Strömungen zu integrieren, um weitere Konflikte zu vermeiden. Fraglich ist allerdings, wie lange diese Politik Erfolg haben wird. Über die zukünftige Ordnung in Libyen ist bis dato jedenfalls noch kaum etwas entschieden.

Der Kuchen wird verteilt

Libyen und das Öl
In der lybischen Wüste
In der lybischen Wüste Bild von Space & Light

Noch wird in den Straßen von Tripolis geschossen. Aber schon stehen die internationalen Öl- und Baukonzerne Schlange, um sich die anstehenden Geschäfte mit den neuen Machthabern zu sichern. Manchem geht es auch lediglich darum, die alten Verträge aus Gaddafis Zeiten bestätigen zu lassen.

Wie es nicht anders zu erwarten war, haben offenbar besonders Firmen aus jenen Ländern gute Karten, die zügig zugunsten der Aufständischen Partei ergriffen haben. Fraglich bei all dem ist natürlich, ob die Menschen in Libyen dafür ihr Leben riskiert haben. Viele der neuen Führer sind zugleich die alten – es steht zu befürchten, dass sich an den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Land nur wenig ändern wird.

Keine Zeugen

Berichte über Gräuel durch Gaddafis Truppen in Libyen stehen in Frage

An der bisherigen Darstellung des Bürgerkriegs in Libyen regt sich Kritik. Thomas Pany gibt auf Telepolis Stimmen von Journalisten und Mitarbeitern von Amnesty International und der International Crisis Group wieder. Demnach konnten Behauptungen von Massenvergewaltigungen durch Gaddafis Truppen ebenso wenig belegt werden wie die Bombadierung von Demonstranten durch die Luftwaffe. Somit wird den Rebellen in Bengasi bewußte Desinformation vorgeworfen. Darüber hinaus steht die Berichterstattung westlicher Medien in der Kritik: Sie hätten rein aus dem Blickwinkel der Rebellen berichtet und möglicherweise falsche Darstellungen nicht ausreichend  überprüft. Dabei steht keineswegs in Frage, daß Gaddafi den Aufstand mit brutalen Mitteln bekämpft hat.

Eskalation durch die Hintertür

Die militärische Lage in Libyen
Ein französischer Helikopter vom Typ "Tiger" <br/>Foto von Rubbel
Ein französischer Helikopter vom Typ "Tiger" Bild von Rubbel

Auch wenn die Medien sich mittlerweile anderen Themen zugewandt haben: In Libyen gibt es immer noch schwere Kämpfe, täglich sterben Menschen. Nun hat die NATO ihre Angriffe deutlich verstärkt. Einerseits wurden massive Bombardements gegen die Marine des Landes durchgeführt, andererseits wollen Großbritannien und Frankreich Kampfhubschrauber dorthin schicken. Nach wie vor bleibt die Lage undurchsichtig. Ob und wie viele Zivilisten durch die westlichen Angriffe umkamen, lässt sich kaum ermitteln, zu widersprüchlich sind die Angaben beider Seiten.

Offene Fragen

Der Militäreinsatz in Libyen

Frankreich, Großbritannien und die USA haben weder ein klares Konzept noch Antworten auf eine Vielzahl von Fragen. So ist durch das UN-Mandat lediglich ein begrenzter Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung vorgesehen – doch die Bombardements richten sich gegen zahlreiche, womöglich auch zivile Ziele. Unausgesprochen sollen sie aber vor allem den Sturz Gaddafis herbeiführen.

Doch noch ist völlig offen, welche Folgen die Intervention haben wird: Kann sich Gaddafi gegen die Rebellen behaupten, was würden die im Falle eines Sieges tun? Und wird der Westen auch bereit sein, notfalls Bodentruppen zu schicken?

Die nächste Zeit wird also zeigen müssen, ob die Angriffe nicht in einem ähnlichen Desaster wie in Afghanistan enden werden. Daran kann jedenfalls niemand ein Interesse haben.

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