Presseschau Staat

Gleichung mit vielen Unbekannten

Die neuen Machthaber in Libyen

Noch immer ist weitgehend unklar, wer die neuen Machthaber eigentlich sind und für welche politischen Ideen sie stehen. Im Wesentlichen kann man drei Gruppen ausmachen: Die westlich orientierten ehemaligen Exilanten, die alten Weggefährten Gaddafis, die rechtzeitig abgesprungen sind. Und, als dritte im Bunde, die Islamisten, die auch schon höhere Posten bekleiden.

Dem Übergangsrat geht es aktuell offenbar darum, möglichst viele Strömungen zu integrieren, um weitere Konflikte zu vermeiden. Fraglich ist allerdings, wie lange diese Politik Erfolg haben wird. Über die zukünftige Ordnung in Libyen ist bis dato jedenfalls noch kaum etwas entschieden.

Rechtspluralismus in Bolivien

Indigene und westliche Justiz im Widerstreit

Seit 2009 gilt in Bolivien eine neue Verfassung, die explizit auch die besondere Rolle der indigenen Bevölkerungsteile hervorhebt. Dazu gehört auch, deren traditionelle, dörfliche Rechtsprechung anzuerkennen. Das ist allerdings umstritten: Dort gibt es nämlich keinerlei vereinheitlichte Rechtsnormen oder Prozessordnungen. Die Urteile fällen die Dorfversammlungen oder dafür gewählte Vertreter nach ihren je eigenen »Prinzipien, kulturellen Werten, Normen und Verfahren«, wie es in der Verfassung heißt. Dazu gehört zum Beispiel, Wiedergutmachung, nicht Bestrafung anzustreben.

Vor allem die Todesstrafe aber sorgt für hitzige Diskussionen. Sie ist zwar offiziell verboten, wird aber gelegentlich von diesen Indiogerichten noch immer verhängt. Jedenfalls zeigt sich immer wieder, wie schwierig es ist, traditionelles und modernes Recht gleichberechtigt nebeneinander existieren zu lassen. Die Indios selbst sehen die Verfassung vielfach als Schritt hin zu mehr Autonomie und weg von der alten kolonialen Ordnung – die ihnen viele Pflichten, aber nur wenige Rechte brachte.

Ohne Putschoption

Der Rücktritt der türkischen Armeeführung ist Ausdruck eines vollzogenen Wandels
"Warnung vor dem Hund" -- Das türkische Militär beißt nicht mehr
"Warnung vor dem Hund" -- Das türkische Militär beißt nicht mehr Bild von Puck

Am vergangenen Freitag traten der Generalstabschef der türkischen Armee Isik Kosaner und mit ihm die Befehlshaber der Teilstreitkräfte des Heeres Erdal Ceylanoğlu, der Luftwaffe Hasan Aksay und der Marine Eşref Uğur Yiğit von ihren Ämtern zurück. Die Deutsch Türkischen Nachrichten sprechen von einem “Paukenschlag”, für die taz kommt dieser Vorgang gar einer “historischen Zäsur” gleich.

Über Jahrzehnte hat das türkische Militär die Politik maßgeblich beeinflußt. Doch in den letzten Jahren verlagerte sich die Macht zugunsten der seit 2002 regierenden AKP. Immer neue Machtproben konnte die Regierung gewinnen. Da insgesamt 250 Soldaten, unter ihnen mehr als 40 aktive Generäle und Admiräle, derzeit in U-Haft sitzen, war das für die Armee ein großes Problem, vor dem Kosaner schließlich kapitulierte”, so die taz. Weiterlesen … »

Kampf um die Zukunft

Militär und Opposition ringen um den Fortgang der Revolution in Ägypten
Kundgebung auf dem Tahrir-Platz Anfang Juli
Kundgebung auf dem Tahrir-Platz Anfang Juli Bild von mmoneib

Der Kampf um die Zukunft des Landes dauert in Ägypten an. Viele, die für ein Ende des Mubarak-Regimes gekämpft haben, trauen dem Militärrat und der Übergangsregierung nicht über den Weg; sie fürchten um die Revolution. So wurden bislang kaum Vertreter des alten Systems für ihre Taten verurteilt, die Prozesse werden häufig verschoben. Daher wird der symbolische Tahrir-Platz wieder besetzt gehalten, immer wieder kommt es zu schweren Auseinandersetzungen. Das ägyptische Militär kontrolliert große Teile der Volkswirtschaft, so daß in Frage gestellt wird, ob es sich mit einer dienenden Rolle im neuen Staat zufrieden geben wird.

Umstritten ist auch der Termin für Wahlen im September, da die Zeit nicht ausreicht, um die zahlreichen Gruppierungen der politischen Bewegung in wahlfähige Parteien und Bündnisse zu verwandeln. Die Wahlen dürften nicht unwesentlich über die zukünftige Struktur des Landes entscheiden.

Kaleidoskop der Machtkämpfe

Neben wachsender Opposition bekämpft sich im Iran die geistliche und die weltliche Führung

Der Iran ist ein widersprüchliches Land. Während in westlichen Medien häufig vom Kampf zwischen Reformern und Konservativen die Rede ist, gibt es weit mehr Fraktionen. Bei den Unruhen nach den gefälschten Wahlen kämpften Reformer, die das System öffnen wollen, gemeinsam mit einer Jugend, die den Klerikalstaat überwinden will. Der neue und alte Präsident Mahmud Ahmadinedschad, hinter dem die wirtschaftlich einflußreichen Revolutionsgarden stehen und das geistliche Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei, sind sich weit weniger einig: Zwischen Ihnen tobt mittlerweile ein erbitterter Machtkampf, der das iranische System durchaus bedroht. Zugleich nutzte die Opposition die Vereinnahmungsversuche der Aufstände in der arabischen Welt durch die Regierung für Massendemonstrationen. Farhan Jahanpour stellt in der Le Monde diplomatique das Kaleidoskop der iranischen Machtkämpfe vor dem Hintergrund der vergangenen Dekade dar: Ein Land vor dem Umbruch.

Folter unter US-Präsident Bush

Interne Widerstände dagegen und der Umgang damit unter Obama
Folter unter US-Präsident Bush
Bild von Shrieking Tree

Die Wahl Obamas zum Präsidenten der USA war nicht nur Ausdruck des Verlangens vieler Amerikaner nach Politik, die bessere 'harte' Ergebnisse erzielt (Beschäftigung etc.), sondern auch nach moralischer Wiederherstellung. Während der acht Jahre unter Präsident Bush war Folter durch amerikanische Beamten von der Regierung nicht nur gebilligt, sondern angeordnet worden. Als das publik wurde, sorgte es für Aufschreie in den USA und weltweit. Die Weigerungen gegen diesen offiziell eingeschlagenen moralischen Kurs kamen dabei nicht nur aus der Öffentlichkeit, sondern auch aus den eigenen Reihen der Regierung: Mitarbeiter aus allen Ebenen der Bundespolizei, des Militärs und der Geheimdienste legten Beschwerde ein, dokumentierten die Verletzungen der Inhaftierten durch Folter oder weigerten sich, daran mitzuwirken – nicht selten verloren sie deshalb ihren Job. Menschenrechtsanwälte und Intellektuelle fordern die Obamaregierung nun dazu auf, diese Beamten zu ehren, bisher ohne Erfolg.

Nummer 193

Der Südsudan ist offiziell unabhängig
Straßenszene in der Hauptstadt Juba
Straßenszene in der Hauptstadt Juba Bild von bbcworldservice

Heute wurde die Unabhängigkeit des Südsudan vom Sudan als 193. Staat der Welt endgültig besiegelt. Doch Jahrzehnte des Unabhängigkeits- und Bürgerkrieges lassen die Perspektiven dieses Landes düster erscheinen. Viele rechtliche Fragen sind noch immer ungeklärt. Auch die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen des Südens schwelen weiter.

Vor allem aber ist der Südsudan extrem unterentwickelt. Es mangelt praktisch an allem: Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen – und nicht zuletzt an einem funktionierenden Staat. Andrea Böhm schildert in ihrer anschaulichen Reportage die Konflikte und Lebenswirklichkeiten der einfachen Menschen jenseits der offiziellen Jubelfeiern in der Hauptstadt.

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