Magazin Beitrag

Die Bundeswehr

Pleiten, Pech und Pannen mit Ansage

In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem die Bundeswehr keine neue Panne oder keinen neuen Ausrüstungsmangel vermeldete. Wie bestellt wurden diese Hiobsbotschaften von Leitartikeln in den üblichen verdächtigen Zeitungen begleitet, um direkt oder indirekt mehr Geld für den Verteidigungsetat zu fordern. Ein abgekartetes Spiel? Ja und nein.

Was für ein Pech! Da zeigte Berlin sich schon mal großzügig und wollte den von Ebola betroffenen westafrikanischen Staaten, wenn es denn schon keine echte Hilfe anbieten will, zumindest eine „Luftbrücke“ spendieren und dann strandete eine der beiden entsandten Transportmaschinen vom Typ Transall auf halbem Weg auf den Kanaren. Erst vor wenigen Tagen streikte eine weitere Transall, die deutsche Waffen zu den Kurden im Nordirak transportieren sollte. Da die deutsche Armee angeblich keine flugtüchtige Transportmaschine mehr aufbieten konnte, bat man die Nachbarn aus Holland um Hilfe. Doch auch die extra herbeigebrachte KDC-10 der niederländischen Armee musste – kaum in Leipzig gelandet – eine Panne vermelden. Nun will Verteidigungsministerin von der Leyen „zusätzliche Flugzeuge“ mieten. Diese Charterflugzeuge stammen in der Regel aus Russland oder der Ukraine und sind meist um einiges betagter als die Transalls der Bundeswehr – aber sie fliegen zumindest. Vielleicht wäre es ja kostengünstiger und vor allem nervenschonender, künftig seine Fracht mit DHL oder UPS zu verschicken, die funktionierende Express-Luftfracht-Lieferungen in den Irak und nach Westafrika anbieten?

Das A400M-Desaster

Die Bundeswehr soll es richten, doch sie kann es ganz offensichtlich nicht. Kein Wunder, schließlich habe die Politik die Truppen totgespart, so raunt der Blätterwald. Doch diese Erklärung greift viel zu kurz. Richtig ist, dass die Transall ein veraltetes Modell ist und die aktiven Maschinen im Dienst der deutschen Streitkräfte aufgrund ihres Alters sehr wartungsintensiv sind. Das hat jedoch nichts mit dem Wehretat zu tun. Liefe bei der Bundeswehr alles nach Plan, wäre die Transall schon zur Jahrtausendwende ausgemustert und gegen ihren designierten Nachfolger, den Airbus A400M, ausgetauscht worden. Die Planungen für dieses Nachfolgemodell begannen bereits in den 80er Jahren, doch zwischendurch kam der Bundeswehr durch die Auflösung des Warschauer Pakts der Feind abhanden und man musste die „Entwicklung dem neuen Aufgabenspektrum anpassen“, wie es auf militär-deutsch so schön heißt.

Sicher, man hätte schon damals die Zeichen der Zeit erkennen und einen Teil der Friedensdividende nutzen können, um zusammen mit der Ukraine ein wesentlich kostengünstigeres Nachfolgemodell auf Basis der Anotonov An-70 zu verwirklichen – dies hatte 1997 der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe erwogen. Doch sein Nachfolger Rudolf Scharping wollte im Einklang mit den deutschen Rüstungslobbyisten davon nichts mehr wissen und schusterte dem Airbus-Konsortium den gesamten Auftrag zu. Scharpings Nachfolger Peter Struck beging den zweiten Kardinalfehler, als er 2003 dem Wunsch der Rüstungslobby nachgab und zustimmte, dass auch das Triebwerk für die A400M von einem europäischen Konsortium entwickelt und gebaut werden sollte, obgleich das Unternehmen Pratt&Whitney Canada bereits über eine fast marktreife Alternative verfügte. Nun musste erst einmal dieses Konsortium mit dem Namen Europrop International mit verteilten Verwaltungs-, Entwicklungs- und Produktionsstätten den vier Ländern, die am Airbus A400M beteiligt sind, gegründet werden und sich dann in europäischer Gründlichkeit an die Arbeit machen. Es kam, wie es kommen musste. Beim A400M passte nichts zusammen, vor allem die Triebwerke und die Triebwerkssoftware machten Probleme. Bis 2010 sind zum Festpreis von 20 Milliarden Euro bereits Mehrkosten in Höhe von 11,3 Milliarden Euro aufgelaufen – rund die Hälfte davon soll auf die Triebwerke zurückzuführen sein. Der Termin Serienfertigung des A400M verschob sich von Jahr zu Jahr und hätte man seitens der Bundeswehr nicht die Anforderungen an das Projekt zurückgestutzt, wäre man wahrscheinlich heute noch in der Entwicklungsphase. Nun soll die Bundeswehr im November diesen Jahres mit sechs Jahren Verspätung ihren ersten A400M bekommen und bis 2020 soll der Austausch der alten Transalls abgeschlossen sein. Bis dahin müssen wohl oder übel die betagten Transportflugzeuge noch im Dienst bleiben und Pannen in Serie produzieren.

Das A400M-Desaster zeigt vor allem eines – die Pannenserie hat nichts, aber auch gar nichts, mit einem angeblich zu geringen Verteidigungsetat zu tun. Im Gegenteil! Hätte man schon zu Scharpings Zeiten eine genauere Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt, wäre der Bundeswehr das ganze Problem womöglich erspart geblieben und man hätte bereits heute die Transalls gegen ein preiswertes Nachfolgemodell eines westeuropäisch-ukrainischen oder westeuropäisch-russischen Konsortiums ausgetauscht. Es kam anders. Man warf das Geld mit beiden Händen zum Fenster heraus und bekam ein fliegendes Luftschloss mit unbestimmtem Fertigstellungstermin.

Hubschrauber am Boden

Ganz ähnliche Probleme sind auch für die mangelnde „Einsatzbereitschaft“ der verschiedenen Hubschraubermodelle zu analysieren. Der „Tiger“ wurde zu Zeiten des Kalten Kriegs geplant, vom Airbus-Konsortium gebaut, mehrfach neu konzeptioniert und zu spät, zu teuer und technisch unausgereift an die Bundeswehr übergeben. Die hohen Ausfallzahlen sind jedoch nur zum Teil auf Wartung und Reparatur zurückzuführen – auch die Modelle, die zu Schulungszwecken eingesetzt werden und die Exemplare, die in Afghanistan eingesetzt wurden und nun zurück transportiert werden, zählen „offiziell“ zu den einsatzbereiten Maschinen. Ähnlich verhält es sich beim NH90, der derart verspätet fertiggestellt wurde, dass sich die bereits übergebenen Exemplare immer noch in der Erprobungsphase befinden. Die Vorgängermodelle „Sea Lynx“ und „Sea King“ müssten also weiter ihren Dienst tun. Tun sie aber nicht – erst vor wenigen Wochen mussten sämtliche Hubschrauber vom Typ „Sea Lynx“ zurück in die Werkstatt, da man Risse in der Außenhaut festgesellt hat. Und auch die alten „Sea Kings“ müssen meist am Boden bleiben, da man einen Teil der Ersatzteillogistik bereits aufgegeben hat – schließlich sollte, so der Plan, die alten Hubschrauber ja eigentlich längst durch die neuen NH90 ersetzt worden sein. Auch die Probleme der Hubschrauberflotte haben also nichts, aber auch gar nichts, mit einem zu niedrigen Verteidigungsetat zu tun. Planungsfehler und die Inkompetenz der Hersteller sind vielmehr die Väter und Mütter der jüngsten Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens bei den Kampfjets vom Typ „Eurofighter“.

Engpässe bei der Marine

Ein zumindest in Teilen anderes Bild ergibt sich bei der Bundesmarine. Auch hier wurden und werden die neuen Modelle zu spät, zu teuer und technisch unausgereift an die Truppe übergeben. Bei den Über- und Unterwassereinheiten der Marine gehört eine längere Instandhaltungs- und Wartungsphase jedoch zur Normalität. So sollen laut FAZ drei der fünf Korvetten und drei der vier U-Boote angeblich nicht einsatzbereit sein. Stimmt das überhaupt? Richtig ist, dass momentan drei Korvetten nach langen Einsatzfahrten für Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten im Dock bzw. in der Werft liegen. Auch hier hat der Ausfall jedoch nichts mit einer Unterfinanzierung, sondern vielmehr mit einer außergewöhnlich hohen Belastung in den letzten Jahren und technischen Fehlern bei den neuen Modellen zu tun, die dem Hersteller anzulasten sind. Und bei den U-Booten kommt ein weiteres Problem ins Spiel – die Bundesmarine hat momentan aufgrund von Nachwuchsproblemen gar nicht die nötige Mannschaftsstärke, um die gesamte Flotte einsatzbereit zu halten. In der Admiralität denkt man sogar schon darüber nach, ein U-Boot, das man ohnehin nicht mit Personal bestücken kann, an Polen zu verleasen. Wie viele andere „Ausfälle“ nicht technischer Natur, sondern einzig und allein Folgen eines Personalmangels – vor allem bei den Mannschaftsdienstgraden und den Unteroffizieren – sind, ist schwer zu sagen. Dies ist der Preis für die Abschaffung der Wehrpflicht und hat ebenfalls nichts mit dem Verteidigungsetat zu tun.

Leitartikel aus einem Paralleluniversum

Diametral anders sehen dies – wie leider zu erwarten- die Leitartikler der großen Zeitungen. So schreibt beispielsweise Johannes Leithäuser in der FAZ:

„Diese Materialkrise hätte die Bundeswehr kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt treffen können: Das sicherheitspolitische Empfinden in Deutschland ist durch die Gewalt im Nahen Osten und in der Ukraine gereizt wie nie seit dem 11. September 2001, der Willen zur Zusammenarbeit in Rüstungsvorhaben und militärischen Einsätzen in der Nato stärker denn je seit dem Ende des Kalten Krieges“

Quelle: FAZ

Ähnlich sieht dies Thomas Straubhaar in der WELT:

„Das Spardiktat der letzten Jahre hat zu einer strukturellen Unterfinanzierung geführt. Für eine zeitgemäße, nachhaltige Modernisierung fehlt das Geld an allen Ecken und Enden.“

Quelle: WELT

Dies sind nur zwei Beispiele von vielen. Interessant ist, dass vor allem die Zeitungen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Staatsausgaben reduzieren wollen, ausgerechnet beim Verteidigungsetat eine Ausnahme machen. Das passt natürlich ganz hervorragend in das transatlantisch geprägte Bild, das genau diese Blätter auf sicherheits- und außenpolitischer Ebene prägt. Die hier geschilderten Beispiele sollten jedoch klipp und klar zeigen, dass die jüngst gemeldeten Mängel gerade eben nichts mit einem vermeintlichen „Spardiktat“ zu tun haben, sondern hausgemacht sind.

Es ist jedoch auch an der Zeit, hier einmal grundsätzliche Fragen zu stellen. Warum braucht die Bundeswehr eigentlich immer ausgefeiltere High-Tech-Lösungen? Wofür braucht die Bundesmarine beispielsweise gleich sechs hypermoderne Brennstoffzellen-U-Boote der Klasse 212 A zum Stückpreis von mehr als 400 Millionen Euro? Warum bestellt die Bundesmarine vier waffensystemstrotzende Fregatten der Baden-Württemberg-Klasse zum Stückpreis von 650 Millionen Euro und verschrottet gleichzeitig die Fregatten der Bremen-Klasse, die Mitte der 80er in Dienst gestellt wurden und immer noch voll seetauglich sind? Um Piraten in Schlauchbooten zu vertreiben oder ein Seeembargo zu überwachen reichen die alten Schiffe vollkommen aus – auch wenn sie eigentlich für den Kalten Krieg konzipiert wurden. Sicher, die neuen Schiffe sind „schicker“, „moderner“ und bieten allerlei High-Tech-Spielereien. Es kann aber nicht Aufgabe des Steuerzahlers sein, die Bubenträume einiger Admiräle und Generäle zu erfüllen. Die Bundeswehr ist nicht mehr eine Verteidigungsarmee, die sich gegen einen überlegen ausgerüsteten Feind wappnen muss. Die neuen Feinde – zumindest nach Auffassung der Bundesregierung – haben keinen modernen Panzer oder Invasionsflotten, sondern Toyota-Pickups und Kalaschnikows. Selbst wenn man der irrigen Überzeugung ist, man könne diese asymmetrischen Kriege militärisch gewinnen, braucht man dafür sicher keine milliardenteuren High-Tech-Systeme. Dies sehen die Lobbyisten der Rüstungsindustrie freilich anders. Aber das kann und darf in einer Demokratie eigentlich keine Entscheidungsgrundlage sein.