Presseschau Beitrag

Neue Runde im Worthülsenweitwurf

Wann gerinnt die Kritik an der Politik Israels zum Antisemitismus?

Als alter Kniff aus der Trickkiste der Öffentlichkeitsarbeit gilt die Top 10 - Liste. Die Platzierung des Verlegers Jakob Augsteins unter die zehn schlimmsten Antisemiten dieser Welt durch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles hat zweifelsfrei für Aufmerksamkeit gesorgt. Um diesen Preis hat das Zentrum jedoch seinen Ruf als ernstzunehmende Instanz bei der Beurteilung des Judenhasses verspielt, indem die Jury den allseits anerkannten Deutschen Meister im Worthülsenschleudern, Henryk Broder, zum Gutachter bestellte. 1 Dieser Helfer ist nicht ausschließlich für seine feinen und differenzierenden Töne bekannt: Denn wer Antisemit ist, bestimmen immer noch Broders Identitätsneurosen.

Durch die nun entstandene Posse geht der Streit um das zulässige Maß der Kritik an der Politik Israels in eine neue Runde, nachdem Günter Grass sich durch seine polit-poetischen Ergüsse inklusive unseliger Auslöschungsrhetorik 2 ebensowenig mit Ruhm bekleckert hat wie die Regierung des Staates Israel mit dessen Ächtung. In der durch Phrasendrescherei, Worthülsenschleudern und Anschuldigungsweitwurf entstandenen Konfusion erscheint sachliche Kritik dennoch möglich, wie unter anderen Stefan Reinecke in der taz beweist: Er erkennt die Debatte als Symptom der Wagenburgmentalität in Israel, aus der jede Kritik an der Politik des Landes in einem Reflex gleich der McCarthy-Ära abprallt. Dass dagegen Kritik an allzu pauschalen Äußerungen Augsteins jenseits von Antisemitismus-Vorwürfen durchaus angemessen wäre, daran erinnert der Fachmann Klaus Holz im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er erklärt dem Zuhörer einige Formen von Antisemitismus, zu denen er auch eine solche Kritik an Israel rechnet, welche durch Aufrechnung auf die Relativierung der deutschen Vergangenheit zielt.

Kommentar

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum scheint dagegen nicht zwischen dem Staat Israel und dem »jüdischen Volk« differenzieren zu wollen. Eben diese Unterscheidung ist jedoch maßgeblich: Ist doch die Gleichsetzung von Juden als Ethnie oder als Religionsgemeinschaft mit israelischen Staatsbürgern auf der einen Seite und der Politik der Staatsführung Israels auf der anderen eine unzulässige Verallgemeinerung. Denn genau auf diese versteckte Pauschalisierung baut ein Antisemitismus, der sich die durchaus kritikwürdige Besatzungspolitik der israelischen Regierung zum Anlass nimmt, um eine Ethnie als weltweit einheitliches politisches Subjekt zu deuten. Eben diese Unterscheidung verdeutlichte Hannah Arendt im Interview mit Günter Gaus: »Wenn man als Jude angegriffen ist, muss man sich als Jude verteidigen.« Aber eben nur in diesem Fall – in jeder Kritik an der Politik Israels, so angemessen oder unangemessen sie im einzelnen sein mag, eine versteckte Judenfeindlichkeit zu vermuten, kann nicht zielführend sein. Wir lernen also: Die vorschnelle Verallgemeinerung ist der Feind der Sachlichkeit.

  • 1. Das Zentrum selbst bezeichnet den mit wüsten Beleidigungen um sich werfenden Berufsprovokateur Broder allen Ernstes als »weltweit respektierte[n] Wortarbeiter«.
  • 2. In dem Gedicht »Was gesagt werden muss«, schrieb Grass von Planspielen eines Erstschlags, welcher das »iranische Volk auslöschen könnte«.