Presseschau Sparpolitik

Nutznießer der Krise

Falsche Lösungen, fatale Folgen

Im Süden Europas wird gespart, bis es quietscht. Die Sozialsysteme werden immer weiter ausgehöhlt. Gleichzeitig formiert sich eine dynamische Protestbewegung. Diese wird aber wirkungslos bleiben, wenn der Norden nicht einen Politikwechsel einleitet, prophezeit Anton Landgraf.

Statt mehr Solidarität, wird in Deutschland, Finnland oder Österreich aber vor allem die Angst der Mittelschichten vor dem sozialen Absturz angeheizt. Oder anders formuliert: Die Deutungshoheit über die Krise, ihre »Schuldigen« und Opfer verschiebt sich immer weiter nach rechts. Denn nun gehe es vor allem darum, populistisch und reflexhaft nach unten zu treten, anstatt oben Reformen einzufordern.

Kürzung und Krawall

Sozialkürzungen sind eine Ursache der Ausschreitungen in London
"Tottenhams Gedächtniskirche": Ausgebranntes Gebäude in London
"Tottenhams Gedächtniskirche": Ausgebranntes Gebäude in London Bild von Patrick van IJzendoorn

Mit den Ursachen der Unruhen beschäftigen sich zwei Autoren der Süddeutschen Zeitung: Sie erkennen in ihrer quellenreichen Analyse einen Zusammenhang zwischen dem umfassenden Sparpaket der Regierung Cameron und der sozialen Armut in migrantisch geprägten Bezirken. Ein Parlamentarier hatte auf die Gefahr hingewiesen, daß die gekürzten Sozialbudgets zu einem Rückfall in die 1980er-Jahre führen könnten, in denen London mehrfach von Ausschreitungen betroffen war. London ist eine der Städte mit der größten sozialen Ungleichheit in Europa. Die Plünderungen deuten darauf hin, daß die Jugendlichen auf diese Weise das Konsumversprechen einlösen, von dem sie ansonsten ausgeschlossen sind. Das Sparpaket der britischen Regierung ist der größte Haushaltseinschnitt in Westeuropa, der bereits seit längerem zu radikalen Protesten von verschiedenen sozialen Gruppen – wie Studenten – geführt hat.

Opfer der Marktlogik

Geisteswissenschaften in England
Alte Tradition: Universität von Cambridge
Alte Tradition: Universität von Cambridge Bild von Elin B

Die Autonomie der Wissenschaft ist zu Recht ein hohes Gut. Um dieses zu gewährleisten, sorgt der Staat für eine angemessene finanzielle Grundlage, ohne auf die Inhalte und Forschungsvorhaben Einfluss zu nehmen. Das soll aber jetzt in England anders werden.

Die Evaluation der Qualität von Forschung läuft dabei nach standardisierten Methoden. Ein wichtiges Kriterium ist die quantitative Erfassung der Publikationshäufigkeit. Das gilt für alle Wissenschaften gleichermaßen – egal ob Philosophie, Mathematik oder Chemie. Eine Folge dieser Politik ist die Orientierung auf kurzfristige, schnelle Erfolge statt mutiger, innovativer Vorhaben. Die allgemeine Marktorientierung, die nach einem aktuellen Gutachten zur Grundlage der Wissenschaftspolitik werden soll, führt dabei unweigerlich zu einem Verkümmern der Geisteswissenschaften zugunsten der ökonomisch verwertbaren Naturwissenschaften.

Am Tor zur Sonne

Steht Europa ein Protest-Frühling bevor?
Proteste an der Puerta del Sol am späten Dienstagabend
Proteste an der Puerta del Sol am späten Dienstagabend Bild von Julio Albarrán

Gerade der Süden Europas ist von der Eurokrise schwer getroffen. Neben Griechenland und Portugal leiden auch Spanien und Italien unter strukturellen Problemen. Insofern ist es wenig erstaunlich, wenn Proteste ausbrechen, die sich in Symbolik und an Radikalität an den Aufständen auf der anderen Seite des Mittelmeeres orientieren. Eine solche Entwicklung zeichnet sich nun in Spanien ab, wo Tausende vor allem junge Menschen den Puerta del Sol-Platz besetzt halten. Die Demonstranten kritisieren die hohe Jugendarbeitslosigkeit, stellen aber auch das politische System in Frage. Ralf Streck sieht auf Telepolis jedoch in den Protesten keine reine Jugendbewegung, sondern einen gesamtgesellschaftlichen Unmut. Er rechnet mit einem Übergreifen der am Sonntag gestarteten Bewegung auf das benachbarte Portugal, wo Demonstrationen bereits den Ministerpräsidenten zum Rücktritt zwangen. In den deutschen Massenmedien ist, darauf weist der Blog le bohémien hin, der Protest bislang verschlafen worden. Auf der Seite findet sich auch ein Nachrichten-Ticker.

Der gekürzte Staat

Britischer Sparhaushalt verschärft soziale Spannungen
Proteste Ende März in London <br/>Foto von psmckiernan
Proteste Ende März in London Foto von psmckiernan

Während Griechenland oder Portugal aufgrund des Diktats anderer Euro-Länder sparen müssen, hat die liberal-konservative Regierung in Großbritannien den radikalsten Sparhaushalt der größeren europäischen Länder verordnet. Fast ein Fünftel des Haushaltes soll eingespart werden, um die Kosten der Finanzkrise zu tragen: Davon ist der Sozialhaushalt am stärksten betroffen. Jochen Spengler zeigt in einer Reportage im Deutschlandradio Kultur die Auswirkungen vor Ort: Wachsender Unmut und Proteste prägen die britische Gesellschaft, auch wenn eine Kultur des Widerstandes gegen Sozialkürzungen weniger stark ausgeprägt ist als in Deutschland oder Frankreich. Soziale Spannungen könnten die Folge sein. Die Blätter für deutsche und internationale Politik haben die Regierung untersucht: Drei Viertel sind Millionäre, viele kommen aus der Oberschicht. Michael R. Krätke erkennt darin eine fortbestehende Klassengesellschaft.

Krisenzyklus

Ein Kommentar zur unbelehrbaren Marktgläubigkeit

Mit einem gewissen Entsetzen betrachtet Robert Skidelsky, emeritierter Professor der Universität von Warwick, die europäischen Sparbemühungen. Sie zeigten, daß das Dogma der effizienten Märkte trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht überwunden ist. Nur einige wenige Keynesianer stellten sich der »wilden Flucht zu Sparmaßnahmen entgegen«. Skidelsky zeigt die Denkfehler der nach wie vor herrschenden Lehre auf:

Nur wenn wir anfangen, die Wirtschaft in einem keynesianischen Rahmen zu diskutieren, sind wir nicht zu einer Serie von Krisen und Rezessionen verurteilt. Andernfalls kommt die nächste schneller, als wir denken.

Sparen ja - aber wie?

Portugals Alleingang

Neben Griechenland und Spanien muss auch Portugal eine drastische Verringerung des öffentlichen Haushaltsdefizits vornehmen. Anders als bei diesen sollen aber nicht die Mehrwert- und andere Verbrauchssteuern erhöht werden. Statt dessen plant die Regierung in Lissabon, den Spitzensteuersatz anzuheben und einen Teil der Börsengewinne abzuschöpfen. Das schont nicht nur die Mehrheit der Geringverdiener, sondern stabilisiert zudem die Binnennachfrage. Bemerkenswert und bisher andernorts kaum diskutiert ist die anvisierte Verringerung der Rüstungsausgaben um satte 40 Prozent.

Allerdings sind auch typisch neoliberale Maßnahmen wie Privatisierungen von - profitablen - Staatsbetrieben sowie Kürzungen bei Löhnen und Gehältern im Gespräch.

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