Presseschau Beitrag

»Tanz zwischen sozialen Bewegungen und staatlicher Organisation«

Südamerika am Scheideweg
Protestierende Bergarbeiter in La Paz, Bolivien
Protestierende Bergarbeiter in La Paz, Bolivien Bild von Szymon Kochanski

Seit gut zehn Jahren haben in einer Reihe von südamerikanischen Ländern neue linke Regierungen die alten, neoliberal orientierten ersetzt. Doch trotz einiger beachtlicher Erfolge in der Armutsbekämpfung und der staatlichen Sozialpolitik ist ein grundlegender Strukturwandel bisher ausgeblieben. Das hat vielfältige Ursachen. Zunächst sind die politischen Eliten – ob neu oder alt – an der Erhaltung ihrer Posten und Privilegien interessiert. Eine bürokratische Schicht entfernt sich so immer weiter von den Bewegungen von unten. Das gilt für Ecuador, Venezuela und Bolivien. In anderen Ländern wie Brasilien oder Argentinien war ein radikaler Wandel sowieso nie der Anspruch der Regierungen. Ihnen geht es um einen sozial gezähmten Kapitalismus. Ein grundlegendes Problem ist jedoch überall die enorme Macht transnationaler Konzerne, vor allem im Bergbau und Agrarsektor. Flankiert wird das von einer weiter bestehenden Abhängigkeit von den Finanzmärkten und ihren Krediten und Investitionen. Noch ist also keineswegs ausgemacht, ob die sozialen Bewegungen ihren Einfluss erhalten und vielleicht sogar ausbauen können.

National orientierte Eliten versuchen, mit dem globalen Kapital bessere Geschäftsbedingungen auszuhandeln, und schließen zu diesem Zweck Bündnisse mit den sozialen Kräften, die von unten auf radikalere Veränderungen drängen. Die Bewegungen, die den Regierungen an die Macht verholfen haben, werden von diesen später als Bedrohung gesehen - nämlich dann, wenn sie bei der Erhöhung der Einnahmen durch das »extraktive« Wirtschaftsmodell lästig werden. Die jüngsten Entwicklungen lassen bei diesen nationalen Bündnissen zwischen »Staat« und »Bewegung« bereits deutliche Abnutzungserscheinungen erkennen. Damit stehen die rosa Staaten vor einer Richtungsentscheidung: Sie müssen sich entweder radikalisieren, oder sie unterwerfen sich erneut der Herrschaft der internationalen Finanzmärkte.

Kommentare

Ha Ha Ha. Der übliche Quatsch

Das böse Kapital und die interessens-einen edlen Wilden.
Weiß mal wieder nicht, wo ich anfangen soll…
Die überwiegende Mehrzahl der Konzerne, welche die Rohstoffe bimbesmässig in Wert setzen sind lateinamerikanisch. Sie waren es vor Chávez, Morales und anderen Lautsprechern & Wenig-Bewegern. Insbesondere Companhia Vale do Rio Doce tritt als globale Mining-Company auf. Die haben Minen in Afrika, Kanada und sonstwo. Codelco, der größte Kupferkonzern der Welt, ist staatlich chilenisch. PVDSA kontrolliert den Großteil der Erdölförderung in Venezuela seit den 70ern. Die Soja-Haciendas in Brasilien, Argentinien und Paraguay gehören Argentiniern, Brasilianern und Paraguaschos.
Die besten Zahlen in der Armuts-Bekämpfung in der Region hat ausgerechnet das neoliberale Chile aufzuweisen. »Armutsbekämpfung« ist insbesondere bei den aktuellen Rohstoffpreisen nicht besonders schwierig. Man definiert eine Armutsschwelle, bei der die Leute nicht hungern, aber nach europäischen Maßstäben immer noch weit von unserer unteren Mittelschicht entfernt sind. Das ist bestimmt ein Fortschritt, eröffnet diesen Leuten aber nur äußerst beschränkte Zukunftsperspektiven.
Hinterhof der USA. Das ist wirklich eine Aufwärmung von revanchistischen TäTäRä-Leutchen, die es immer noch nicht verknusen können, von der eigenen Bevölkerung Star-Spangled Banner pfeifend einen fetten Arschtritt bekommen zu haben. China ist heute der Handelspartner Nr. 1 des neoliberalen Chile. Auch unter konservativen Regierungen (Peru bis vor kurzem oder Kolumbien) wächst der Handel mit China gewaltig… und repliziert nur das alte Muster: Lateinamerika als Exporteur von Rohstoffen und Importeur von Fertigwaren. Die neue Nachfrage hebt natürlich die Preise, verfestigt aber auch ungute Strukturen.
Anders als Europa sind die meisten Staaten Lateinamerikas wesentlich weniger abhängig von den internationalen Finanzmärkten, einfach weil sie deutlich weniger Schulden haben. Länder wie Brasilien, Uruguay und Chile haben ihre Lektionen aus ihrer Verschuldungskrise gezogen und leben seit Jahren etwas, das Europäer für unmöglich halten: drastische Senkung der Staatsverschuldung durch Haushaltsüberschüsse.

Und dann Präsidenten als Beschützer der Sozialen Bewegungen. Herje. Benutz bitte vorm Tippen deinen Verstand. Bei dem Streit über den Straßenbau durch dieses Pueblos Originarios (Indianer)-Naturschutzgebiet in Bolivien neulich befürchteten die Pueblos Originarios insbesondere einen massiven Einfall einer anderen ebenfalls Sozial-Bewegung organisierten Gruppe: Den Coca-Bauern.

Die Venezuela-Berichterstattung der Lefty-Shefties ist deshalb eingeschlafen:
In den Jahren 2005 bis 2008 hatte Venezuela sehr hohe Wachstumsraten, weil Chávez auf einem Rohstoffboom noch ein fettes schuldenfinanziertes Konjunktur-Feuerwerk abzündete. Und seitdem geht da nix mehr. Ähnlich wie die Pueblos Originarios in ihrer ersten Begegnung mit den Europäern, waren die Lefty-Shefties ganz versessen nach den funkelnden Glasperlen dieser zweistelligen Wachstumsraten. Sie waren ABER NICHT NACHHALTIG! Besser informierte Lefty-Shefties wissen auch, dass 50% der präsidentiellen Kampagnen in inländische Verschwendung & Mißwirtschaft enden und die übrigen 50% letztlich dazu dienen die völlig antiquierte Kuba-Insel irgendwie am Laufen zu halten. Deshalb schweigen sie lieber. Was sich da nämlich am Ökonomie & Verschuldungs Himmel vor Venezuela zusammenbraut wird nämlich ein ziemlich komplettes Desaster sein. In dem Land mit größten Erdölreserven der Welt…

Lateinamerika ist heute eine politisch äußerst bewegte Region. Auch Linke und selbst einige extreme Linke liefern hier teilweise ihren wertvollen Beitrag. Gerade der allerdings weitgehend rohstoff-preis indizierte Aufschwung liefert Möglichkeiten, das Politiken eingeleitet werden, welche die historisch verfestigten ungerechten sozialen Strukturen aufweichen. Aber mit deinem Groschen-Roman Verständnis amerika21-artiger Provenienz wirst Du den wahren Zuständen und Entwicklungen einfach nicht gerecht.

Bild des Benutzers Axel Weipert

Na schön...

…schauen wir uns doch die Sache mal in aller Ruhe und ohne aufgeregte Polemik an:

Transnationale Konzerne sind keineswegs nur ausländische. Ich glaube, dem Bauer ist es vermutlich relativ egal, ob z.B. die Vergiftung des Wassers von einem in- oder ausländischen Bergbaukonzern verursacht wird. Abgesehen davon: an wen verkaufen die denn ihre Rohstoffe/Agrarprodukte? Sicher auch an China, aber zu großen Teilen eben an den Westen. Vom »Hinterhof der USA«, »edlen Wilden« usw. ist übrigens in dem Artikel nirgends die Rede, da erübrigt sich also eine Wiederlegung. Ich glaube übrigens schon, dass Armutsbekämpfung ein Erfolg sein kann. Frag mal die Leute, die das konkret betrifft. Es ist sicher nicht ausreichend, aber irgendwo muss man anfangen. Und da sind rudimentäre medizinische Versorgung, Bildung und eben auch staatliche Transferleistungen unverzichtbar als erste Schritte.

Das eigentliche Thema hast du, Entschuldigung, wohl nicht ganz richtig erfasst. Tatsächlich weist ja schon der Titel darauf hin, dass es hier Konflikte zwischen den sozialen Bewegungen und den Regierungen gibt. Von einer Revolutionsromantik oder Verherrlichung von Chavez und Co kann also wirklich nicht die Rede sein. Außerdem hatte ich explizit darauf hingewiesen, dass es zu keinem tiefergehenden Strukturwandel gekommen ist. Also bitte etwas gründlicher lesen und nicht einfach ein Kritikschema herunterbeten, das hier nur sehr begrenzt zutrifft…

Lieber Axel, hast Du schon

Lieber Axel,

hast Du schon einmal Minen in den Anden gesehen? Das sind im günstigen Fall Großprojekte, die einer komplexen organisatorischen und technologischen Struktur bedürfen. Mit gut ausgebildeten und bezahlten einheimischen Experten, gerade übrigens auch für Fragen des Umweltschutzes. Ökologisch und im Hinblick auf den Arbeitsschutz problematischer sind da schon die kleinen Minen. Kein Zufall, dass sich der große chilenische Unfall vor 2 Jahren in einer solchen kleinen Mine abspielte und dass der staatliche Großkonzern Codelco eine wichtige Rolle bei der Rettung übernahm.
Small is beautiful mag sich zwar von einem deutschen Schreibtisch romantisch anhören, die Realität da unten sieht aber völlig anders aus. Ich kenne einen Ingenieur und zwei angelernte Arbeiter mit Uni-Abschluß, die bei Codelco arbeiten. Sie sind mit den Arbeitsbedingungen und dem Lohn sehr zufrieden.

Die Rohstoffe und Agrarprodukte werden heute zu einem großen und stark wachsenden Anteil nach China verkauft. China ist heute der wichtigste Abnehmer chilenischer Exporte und der zweit-wichtigste der brasilianischen. Das Gewicht des lateinamerikanischen Außenhandels wird sich weiter stärkstens in den pazifischen Raum verlagern. Dies hat die Preise für Rohstoffe in den letzten Jahren deutlich nach oben getrieben, gleichzeitig verfestigt es aber die Rolle Lateinamerikas als Rohstoffproduzent. Auf der anderen Seite werden damit natürlich auch die Sozialprogramme finanziert. Argentinien bezieht etwa von den Soja-Produzenten eine sehr einfach einzuziehende 30% Exportsteuer.
Ausser in Brasilien investiert China bisher auch kaum in die industrielle Fertigung in Lateinamerika. Anders als etwa die europäische und US-amerikanische Automobil-Produktion mit ihren gutbezahlten und technologisch anspruchsvollen Arbeitsplätzen.

Ich habe mit keinen Wort gesagt, ich wäre gegen Armutsbekämpfung. Ich weise lediglich darauf hin, dass man diese Zahlen mit einer gewissen Vorsicht betrachten muss. Diese nicht-Armen geraten immer noch in gewaltige Schwierigkeiten, wenn etwa ein Familien-Angehöriger ernsthaft krank wird. Sie müssen sich bei ihren Ausgaben nach wie vor sehr disziplinieren.

Die medizinische Gratis-Versorgung vertiefte sich in Lateinamerika zwischen den 20er und 70er Jahren. Nach der Verschuldungskrise gabs hier allerdings empfindliche Kürzungen. Seit etwa 2005 werden die entsprechenden Ausgaben in praktisch jedem Land der Region wieder erhöht. Allerdings aus meiner Sicht langsamer und z.T. ineffizienter (Venezuela) als möglich und wünschenswert wäre. Exemplarisch hier etwa Plan Auge in Chile: http://es.wikipedia.org/wiki/Plan_AUGE

Ich habe auf zahlreiche aus meiner Sicht irreführende Textstellen hingewiesen. Du magst das als Details abtun. Soziale Bewegungen sind völlig berechtigte und wichtige Interessengruppen. Diese haben naturgemäß öfters auch widerstreitende Interessen. Ich habs für die Cocaleros und die Pueblos Originarios oben beispielhaft erläutert. Schon aus diesen auch in Lateinamerika völlig normalen Interessens-Gegensätzen zwischen verschiedenen Gruppen kann es keine »nationalen Bündnisse« zwischen den einzelnen Bewegungen und dem Staat geben. Die Regierung sollte aber diese Bewegungen in seine Entscheidungsfindungen einbeziehen und Kompromisse finden. Die Vorstellung einer Einheit sozialer Pressure Groups - deren Existenz ich für absolut notwendig halte - und Staat stellen allerdings eine romantisierende Vorstellungen dar. Dafür sind lateinamerikanische Gesellschaften heute viel zu differenziert, was aus meiner Sicht ein Beleg für Modernität darstellt.

Gruß Lemmy