Medium Zeitungen

Putsch und Rebellion

Chaotische Situation auf beiden Seiten des Bürgerkriegs in Mali
Timbuktu: In der Hand von Islamisten?
Timbuktu: In der Hand von Islamisten? Bild von Emilio Labrador

Seit Freitag existiert ein neuer Staat – dies sehen zumindest die Rebellen im eroberten Norden Malis so, indem sie diesen zum eigenständigen Staat Azawad ausriefen. Dabei ist wenig über die Rebellen bekannt, kein Staat beabsichtigt bislang die Anerkennung Azawads. Auf beiden Seiten des Konflikts herrscht Chaos: Während das Militär im Süden gegen die Regierung putschte, besteht im Norden eine merkwürdige Allianz aus Tuareg-Milizen der MNLA und Salafisten der Aqim. Bei den Tuareg soll es sich um aus Libyen geflohene Milizen handeln, die unter Gaddafi dienten und vertrieben wurden. Diese haben sich darauf mit salafistischen Gruppen, die in der Sahara operieren, auf einen gemeinsamen Aufstand geeinigt. Insofern hat dieser Konflikt eine internationale Dimension. Im Süden putschte das Militär im Zuge des Aufstandes gegen die Regierung. Nun wurde die Rückkehr zur Demokratie nach heftigem internationalen Druck vereinbart.

Dominic Johnson erinnert in der taz an die Geschichte der Spannung zwischen Norden und Süden, zurückgehend auf die Zeit der Befreiung vom französischen Kolonialismus. Thomas Scheen schreibt in der FAZ über die Salafisten der Aqim, die aus einer algerischen Gruppe hervorgingen. Demnach bestand bis Ende 2011 ein Duldungsabkommen mit der Regierung in Mali, die an den Erpressungen aus Entführungen mitverdiente. Die Gruppe finanzierte sich auch durch Schmuggel und Drogenhandel. Der Westen befürchtet durch einen neuen Staat einen Rückzugsraum für die Al Qaida. Über die reellen Verhältnisse in Mali herrscht jedoch bislang Unklarheit.

Blick in die PR-Werkstatt

Wie Lobbyisten arbeiten
Blick in die PR-Werkstatt
Bild von Elias Schwerdtfeger

Ein peinlicher Fauxpas: Die Präsentation einer PR-Agentur zwecks umfassender Beeinflussung einer Gesetzesnovelle wurde an den falschen Empfänger geschickt. Damit kam sie ungewollt an die Öffentlichkeit - und bietet nun einen hautnahen Einblick in die Funktionsweise von Lobbyismus. Detailliert werden »Entscheider« und anderweitig beteiligte aufgeführt, die es zu überzeugen gelte. Darunter finden sich Abgeordnete, Ministerialbeamte, aber auch Journalisten und NGO wie Greenpeace.

Die Strategie dabei ist es, nicht direkt für die Interessen der Auftraggeber einzutreten. Stattdessen sollen scheinbar unabhängige Gruppen eingebunden oder sogar extra gegründet werden, um hinter wohltönenden Phrasen das Anliegen zu verstecken. Konkret geht es um eine geplante Neufassung einer Bauvorgabe, die Hersteller von Wärmedämmsystemen gegenüber Produzenten von Ziegeln und Beton bevorzugen würde. Und das soll verhindert werden. Wenig überraschend, dass sich der beteiligte Unternehmensverband nach Bekanntwerden von dem Vorhaben distanzierte.

Rosskur in der PS-Branche

Opel ist kein Einzelfall
Voll gegen die Wand gefahren: Opel
Voll gegen die Wand gefahren: Opel Bild von astrablog

Wieder einmal gerät Opel in die Schlagzeilen: Den Beschäftigten des Autobauers stehen drastischer Lohnverzicht, Auslagerungen und vermehrte Leiharbeit bevor. Damit soll offenbar die - bisher wenig erfolgreiche - Schrumpfkur der letzten Jahre fortgesetzt werden. In der vergangenen Dekade nahm die Zahl der Arbeitsplätze von 63.000 auf 40.000 ab. Gewerkschaft und Betriebsrat haben sich vehement gegen die Pläne des Managements gestellt: Zur Zeit durch eine Erklärung, nach der man nur gemeinsam über Einschnitte verhandle. Zuvor hatte die Konzernleitung versucht, die einzelnen Werke in separaten Gesprächen gegeneinander auszuspielen: Wer den Kürzungen nicht zustimme, verliere interne Produktionsaufträge.

Die Krise betrifft aber nicht allein Opel, sondern weite Teile der europäischen Autoindustrie. Viele Experten sind sich darin einig, dass es in Europa angesichts stagnierender oder sogar sinkender Nachfrage gewaltige Überkapazitäten gebe. Rund zehn bis fünfzehn Prozent der etwa 70 Fabriken seien überflüssig. Das beträfe dann insgesamt 250.000 Mitarbeiter. Eine ähnliche Rosskur haben die Unternehmen in den USA schon in den Jahren 2008-2010 hinter sich gebracht. Weiterlesen … »

Doppeltes Spiel

Der Golfstaat Katar unterstützt Aufstände – aber nicht in der eigenen Region
Der Scheich und seine Tochter zu Gast in Damaskus (2008)
Der Scheich und seine Tochter zu Gast in Damaskus (2008) Bild von Ammar Abd Rabbo

Das Scheichtum Katar liegt auf einer Halbinsel im arabischen Golf. Erdgas und Erdöl haben das Land zu Reichtum geführt, mit dem der Monarch Hamad bin Chalifa Al-Thani große Politik betreibt. Denn er hat die Bedeutung der weichen Macht erkannt, also nicht den Einsatz militärischer Mittel, sondern der Medien und diplomatischer Beziehungen. In dieser Funktion sticht der Sender Al-Jazeera hervor, der einen linksliberalen englischen und einen islamisch orientierten arabischen Kanal betreibt. Der Sender galt während der Aufstände im arabischen Raum als sachlicher Beobachter des turbulenten Geschehens. Doch eine Reportage von Stephanie Doetzer im Deutschlandfunk läßt die politische Rolle als Propagandainstrument des Scheichs erkennnen. Denn dieser verfolgt ein doppeltes Spiel: In Libyen und Syrien unterstützt Katar revolutionäre Kräfte mit seiner Medienmacht – aber auch mit Waffen. Zugleich wird die Opposition in den Monarchien auf der arabischen Halbinsel unterdrückt, ohne daß Al-Jazeera entsprechend darüber berichtet.

Katar ist das Hauptquartier der amerikanischen Truppen in der Region, zugleich dürfen aber die Hamas und mittlerweile auch die Taliban Präsenz zeigen. Diese Gratwanderung führt zu Widerspruch in dem Land. Bereits vor zwei Monaten stellte Nora Müller in der Süddeutschen Zeitung dar, daß die Doppelstrategie ein Konzept des Golf-Kooperationsrates und somit aller Golf-Monarchien ist: »zu Hause Restauration, draußen (ein wenig) Revolution«.
 

Im Zentrum des Geldes

Die Londoner City
Die "City"
Die "City" Bild von Ben Sutherland

Die »City of London« ist eigentlich nur ein kleiner Flecken Erde, rund eine Quadratmeile Land im Stadtzentrum. Dennoch ist sie von immenser Bedeutung: Hier werden Devisen, Versicherungen und Derivate gehandelt, Börsengänge vorbereitet und etwa 50 Prozent aller weltweiten Aktienkäufe getätigt. All das ermöglichte auch die besondere Stellung innerhalb des britischen Staates. Denn schon seit dem Mittelalter gelten Selbstverwaltungsregeln, die der City einen quasi autonomen Status verschafften. Diese demokratischen Regeln haben sich freilich längst in ihr Gegenteil verkehrt: Unternehmen können bei Wahlen mit abstimmen, entsprechend der Zahl ihrer Angestellten. Damit wurde die Lokalverwaltung zur vielleicht einflussreichsten Lobbyorganisation des Landes. Die gescheiterte Regulierung des britischen Finanzsektors nach der Krise beweist, wie mächtig diese Branche nach wie vor ist.

»Minimalbeschreibung eines Bürgerrechtlers«

Gaucks Rolle in der DDR ist zweifelhaft: Den einen ist er Freiheitskämpfer, den anderen ein IM
Im Rampenlicht, aber nicht ausgeleuchtet: Gauck zu Besuch bei der FDP, die seine Präsidentschaft durchsetzte
Im Rampenlicht, aber nicht ausgeleuchtet: Gauck zu Besuch bei der FDP, die seine Präsidentschaft durchsetzte Bild von FDP

Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident. Die urspünglich taktische Aufstellung des Pastors und späteren Verwalters der MfS-Akten durch die Oppostion 2010 hat sich durch das Votum der FDP 2012 verselbstständigt. Der Schritt ins Rampenlicht hat zugleich die Frage losgetreten, wie die Rolle Gaucks in der DDR zu bewerten ist. Zugleich steht er aufgrund von Äußerungen zur Einwanderung und der deutschen Vergangenheit in der Kritik. So greift Andreas Strippel die Bezeichnung Gaucks in vielen Medien als Bürgerrechtler oder gar als Freiheitskämpfer an. Dies sei nach den Aussagen damals Oppositioneller nicht richtig, denn er habe sich in der Friedensbewegung nicht eingebracht. Er sei zwar Gegner des »autoritären Polizeistaat[es] DDR« gewesen, dies mache ihn aber noch nicht zu einen Streiter für Freiheit. Vielmehr sei sein Freiheitsbegriff eindimensional und unscharf:

Weder ist Gauck ein Befürworter eines liberalen Individualismus, noch profiliert er sich als Kritiker autoritärer Tendenzen in der westlichen Demokratie.

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Libyen unter der Lupe

Eine Bestandsaufnahme
Die zerstörte Stadt Sirte im Januar 2012
Die zerstörte Stadt Sirte im Januar 2012 Bild von EU Humanitarian Aid and Civil Protection

Joachim Guilliard schildert in einem ausführlichen Bericht die aktuelle Lage in dem nordafrikanischen Land. Sein Urteil fällt drastisch aus, aus mehreren Gründen:

Die Entwicklung in Libyen nach der »Befreiung« ist hier schon lange kein Thema mehr, steht nun doch mit Syrien der nächste Kandidat für einen »Regime Change« im Zentrum des Interesses. Ein Blick auf das heutige Libyen würde dabei nur stören, zeigte dieser doch – wie zuvor schon in Afghanistan und Irak – keinen positiven Wandel, sondern nur Zerstörung, Chaos, Willkür und Gewalt sowie die offensichtlichen wirtschaftlichen Interessen hinter dem Krieg.

Als Belege führt er zahlreiche durch internationale NGOs dokumentierte Menschenrechtsverletzungen an, zu denen auch Ermordungen und Folter zählen. Der Übergangsrat besitzt offenbar weder den Willen noch die Fähigkeiten, dem willkürlichen Treiben der Milizen ein Ende zu bereiten. Der Wiederaufbau des zerstörten Landes geht nur sehr schleppend voran, selbst dort, wo ausländische Konzerne ein vitales Interesse vertreten, etwa in der Ölindustrie. Ursachen dafür sind die angespannte Sicherheitslage, die unsichere politische Zukunft und bürokratische Hürden. Hinzu kommen noch Rivalitäten zwischen den einzelnen Regionen - besonders die ölreiche Ostprovinz um Bengasi verlangt mehr Autonomie. Ob der Krieg bzw. der Eingriff der NATO tatsächlich zu deren erfolgreichsten Einsätzen zählt, wie das Generalsekretär Rasmussen behauptete, bleibt noch immer zweifelhaft.

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