Magazin Beitrag

Pinky Or The Brain

Die Bundesregierung setzt ihre fatale Wirtschaftspolitik fort und untergräbt die Fundamente der Europäischen Union
Pinky und The Brain als Streetart: Wer repräsentiert die deutsche Wirtschaftspolitik
Pinky und The Brain als Streetart: Wer repräsentiert die deutsche Wirtschaftspolitik

Eines haben die Subprime-Krise 2007/08 und die europäische Schuldenkrise 2010 gemeinsam: Die Kreditbedingungen zwingen die Schuldner in die Knie, die Gläubiger sind dadurch ebenfalls von Insolvenz bedroht. Im ersten Fall wurden die Gläubiger gerettet, im zweiten die Schuldner. Durch das verspätete und wenig beherzte Eingreifen der europäischen Staaten zur Hilfe Griechenlands wurde verdeckt, wie gefährdet die Banken bei Zahlungsunfähigkeit des Landes gewesen wären: Selbst nach Einschätzung der EZB stand das europäische Finanzsystem vor dem Zusammenbruch.

Dahinter stehen gewaltige Ungleichgewichte im Wirtschaftsgefüge und in der Konzentration von Kapital, das in die Finanzmärkte fließt. Im Fall der amerikanischen Kreditkrise schuf dieses Kapital eine künstliche Nachfrage durch Schuldner, die eigentlich nicht über ein ausreichendes Einkommen verfügten. Ein großer Anteil dieser Kredite floß aus den Pensionsfonds, aber auch aus China und Deutschland: Deren Exportüberschüsse müssen schließlich irgendwo angelegt werden. In Chinas Fall stammte der Überschuss maßgeblich aus der unterbewerteten Währung, um einer zu Beginn der Dekade noch nicht konkurrenzfähigen Wirtschaft einen Vorsprung zu verschaffen. Deutschland dagegen steigerte die Konkurrenzfähigkeit seiner ohnehin starken Industrie auf Kosten sinkender Löhne breiter Teile der Bevölkerung: Ein Teil dieser Gewinne floß über Banken in die amerikanische Kreditwirtschaft.

Verzögerte Krisen

Ironischerweise wurde der Einkommensverlust in Deutschland durch Billigimporte aus Fernost abgefedert. Dies ist der Grund für das »Geiz-ist-Geil«-Zeitalter und den Boom der Ein-Euro-Läden. Gleichzeitig wurden die negativen Effekte eines schwachen Binnenkonsums in andere Länder exportiert: Deren Nachfrage hält die deutsche Industrie am Laufen, während ihre eigene Wirtschaft durch geringere Produktivität leidet. Dieses Ungleichgewicht wirkte sich aber nicht nur in der globalen Wirtschaft aus, sondern auch im Euroraum. Der Druck auf die anderen europäischen Länder wurde ebenso durch die stimulierende Wirkung der künstlichen Nachfrage in den USA gemildert. Erst mit großer Verspätung wirken die Konsequenzen der deutschen Politik im Euroraum. Dieser Verzögerungseffekt scheint in diesen Krisen eine Regel zu sein.

Dauerhafter Exportüberschuß ist eine Kapitalkonzentration, die auf einen Ausgleich dringt. Meist wird das Geld bei den Handelspartnern mit dem Bilanzdefizit auf den einen oder anderen Weg angelegt. Auf magische Weise schließt sich der Kreis, wenn faule Kredite durch täuschende Blasen wie eine sinnvolle Investition erscheinen. Künstlich wird über diesen Weg die Nachfrage erzeugt, die eigentlich durch reelles Einkommen vorhanden sein sollte. Was in den USA Häuslebauer der ärmeren Schichten waren, ist in Europa ein Staat wie Griechenland. Natürlich spielen weit mehr Faktoren eine Rolle als in diesem vereinfachten Bild; dennoch erklärt dies den Zusammenhang zwischen den Risiken und Verlusten gerade deutscher Banken, sowie den Verzögerungseffekt beim Platzen der Blasen.

Kritik aus dem Ausland

Immer, wenn ungleiche Wirtschaftskraft oder ungleiches Einkommen das Wirtschaftsgefüge aus dem Gleichgewicht bringen, bedarf es Institutionen, um dem entgegenzuwirken: Einen Länderfinanzausgleich, staatliche Transferleistungen oder makrowirtschaftliche Steuerungspolitik. Mittlerweile wurde das Problem von zahlreichen Ökonomen erkannt. Joseph Stiglitz, Paul Krugman, George Soros, der Economist: Einer nach dem anderen kritisiert die gefährliche Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik. Die deutsche Regierung lebt auf Kosten der Konjunkturpakete der Amerikaner und der Chinesen, die auch die exportorientierte deutsche Wirtschaft stimulieren.

Wenn die deutsche Regierung in der jüngeren Vergangenheit zu Zeiten der großen Koalition noch Konjunkturpakete auflegte, werden diese nun durch die Sparanstrengungen völlig konterkariert. Weit schlimmer noch: Der eigene Neomerkantilismus wird den anderen Staaten als Vorbild gepriesen; daher wird versucht, die europäischen Länder zu ähnlichen Sparanstrengungen auf Kosten der Sozialsysteme zu zwingen. Offenbar glaubt die Bundesregierung an Märchen, wenn sie annimmt, die strukturellen Probleme der Weltwirtschaftskrise seien überwunden.

Daß die Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik meist nicht aus Deutschland kommt, ist dabei bezeichnend: Zu stark ist die Dominanz der monetaristischen, an Geldwertstabilität orientierten Wirtschaftstheorie hierzulande. Auch wenn Thomas Fricke in der Financial Times Deutschland aufgrund der jüngsten Umfrage seiner Zeitung ein Umdenken bei den Ökonomen erkennt, kann kein Zweifel bestehen: Die maßgeblichen Entscheider der Bundesregierung und der Bundesbank haben sich keineswegs von ihren Lehren verabschiedet, im Gegenteil.

Demokratisches Defizit

Weder bei den deutschen Ökonomen noch in der Politik ließen sich bisher viele einflußreiche Stimmen für eine andere Wirtschaftspolitik vernehmen. Dies ist zugleich eine Krise der Wirtschaftswissenschaft als auch der Politik: Demokratie lebt von glaubwürdigen unterschiedlichen Konzepten. Selbst wenn die deutsche Politik dem offenkundigen Wählerwillen gefolgt wäre, und in Nordrhein-Westfalen und Hessen rot-rot-grüne Koalitionen regieren würden, bliebe fraglich, ob daraus eine alternative Wirtschaftspolitik entstanden wäre. Die Tragik besteht also darin, daß der fatalen Politik Merkels keine Alternative entgegensteht. Den wenigen Stimmen der Vernunft in Medien und Wirtschaftswissenschaft steht kein politischer Partner beiseite. Dabei könnte eine an Nachfrage orientierte deutsche Wirtschaftspolitik das Rückrat einer Mitte-Links-Koalition in Deutschland sein. Im Gegensatz zu den USA und Frankreich ist eine konjunkturbelebende Politik in Deutschland nur auf der linken Seite des politischen Spektrums zu finden. Selbst wenn sich eine deutsche Regierung für eine keynsianistische Politik entscheiden würde, hätte sie vermutlich Schwierigkeiten, ausreichend Experten dafür zu finden.

Die deutsche Regierung beharrt bei ihren jüngsten Gesprächen mit Frankreich und der G-20 auf ihre Sparpolitik in der Krise. George Soros nennt im Interview lapidar die Folgen: Eine europäische Sparpolitik werde eine Abwärtsspirale mit Deflation zur Folge haben. Sie dient damit in erster Linie den Interessen der Banken, die um ihre Staatsanleihen fürchten. Die strukturellen Probleme werden dabei nicht gelöst, sondern eine schwache Nachfrage im Euroraum auf lange Zeit festgelegt. Denn Merkels Chaosregierung hat im Grunde den Vorschlag einer europäischen Wirtschaftsregierung komplett kassiert. Jeder Versuch einer makroökonomischen Steuerung Europas wurde auf die Ebene des Europäischen Rats delegiert: Mit verlogener Wortspielerei wird behauptet, man habe sich den Vorschlag einer Wirtschaftregierung zu eigen gemacht. Dabei ist mit einem derart vielstimmigem Entscheidungsgremium das Projekt gestorben.

Einfalt oder Machtdenken?

Glaubt man einigen alternativen Medienberichten, so setzt die Bundesregierung ihre Position Frankreich gegenüber mit Mitteln durch, die alles andere als partnerschaftlich sind. An dieser Stelle kommt die Frage nach den Motiven des deutschen Alleinganges auf. In der amerikanischen Zeichentrickserie Pinky And The Brain sind zwei mutierte Laborratten die Protagonisten: Pinky ist etwas dümmlich und einfältig, während The Brain seine – durch genetische Experimente erzeugte – Intelligenz benutzt, um mit aller Boshaftigkeit die Weltherrschaft zu erringen. Ein Versuch, der in jeder Folge scheitert.

Entweder ist die deutsche Wirtschaftspolitik durch große Einfältigkeit geprägt: Aus Mangel an Phantasie orientiert sie sich an dem Monetarismus, der sich auch aus den Erfahrungen mit der deutschen Hyperinflation entwickelt hat; dazu kommt die wirtschaftspolitische Konzeptlosigkeit von Schwarz-Gelb, die durch ihren Koalitionslärm die gewichtigeren Probleme übertönt. Oder aber man unterstellt dieser Politik eine fatale Machtlogik: Dann ist die Weltwirtschaftskrise eine Gelegenheit, um die eigene Dominanz im Euroraum zu zementieren. Darauf deutet der Versuch hin, den schwächeren Ländern entgegen aller Grundideen der Union das Stimmrecht zu nehmen, falls sie sich nicht an Haushaltsvorgaben halten. Das Ziel wäre dann, die EU zur verlängerten Werkbank Deuschlands zu machen und Berlins Interessen unterzuordnen.

Was auch immer die Motive seien, die ersten Folgen sind bereits sichtbar: Ein Erstarken der neofaschistischen und rechtspoulistischen Parteien in ganz Europa ist erkennbar. Dadurch haben sich Ungarn und die Slowakei bereits in eine Negativspirale ethnischer Politik begeben, auf die Europa bisher nicht vermittelnd reagiert hat. Diese Entwicklung ist, ebenso wie die zunehmende Radikalisierung in Griechenland, auch einer erzwungenden Sparpolitik zur Unzeit geschuldet. Die deutsche Wirtschaftspolitik ist zum politischen, sozialen und ökonomischen Brandbeschleuniger geworden. Noch ist es zum offenen Widerspruch nicht zu spät.


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