Presseschau Beitrag

Jugendliche hinter Gittern

Wie die Schweiz tausende Jugendliche ohne Gerichtsurteil in Gefängnissen wegsperrte
Ein "liederliches" Leben reichte dafür aus. <br/> Foto v. Alfred_Jodokus_Quak (Flickr)
Ein "liederliches" Leben reichte dafür aus. Foto v. Alfred_Jodokus_Quak (Flickr)

Das kürzlich erschienene Buch »Weggesperrt. Warum Tausende in der Schweiz unschuldig hinter Gittern sassen« von Dominique Strebel behandelt ein Kapitel der Schweizer Geschichte, das bislang kaum Beachtung fand. Aufgeschreckt durch die Nachforschungen und dem einsetzendem öffentlichen Interesse gab es am 10. September die erste offizielle Entschuldigung durch politische Vertreter. Das »wir bedauern es zutiefst« des Zürcher Regierungspräsident Hans Hollenstein bezog sich dabei auf die Praxis der sogenannten »administrativen Versorgung« von 1942 bis 1981.

In dieser Zeit konnten Jugendliche ohne Gerichtsurteil von ihrem 14. bis 18. Lebensjahr in Gefängnissen inhaftiert werden. Gründe dafür waren meist ein »liederlicher« oder »unsittlicher« Lebenswandel, aber auch Einstufungen als »arbeitsscheu« oder »Vaganten« brachten die Heranwachsenden für unbestimmte Zeiten hinter Mauern. Die Betroffenen dieser »administrativen Versorgung« standen zuvor unter der Aufsicht der Vormundschaftsbehörden, die sich durch diese einfachen Anordnungen unliebsamer Jugendlicher entledigte. Die Eltern wurden meist über den Aufenthaltsort ihrer Kinder im Unklaren gelassen.

Aus »erzieherischen« Gründen waren die Jugendlichen zusammen mit den Häftlingen der Strafvollzugansanstalten untergebracht und wurden deshalb auch zu Zwangsarbeit herangezogen. Auf Initiative des Autoren meldeten sich mittlerweile einige Opfer zu Wort. In einer Reportage des SF1 wird die ehemalige »Versorgte« Ursula Biondi porträtiert, die ihr Kind in Gefangenschaft zur Welt brachte und es im Anschluss unter Druck zur Adoption freigeben mußte. Wieviele Jugendliche in den vergangenen Jahrzehnten von dieser Praxis betroffen waren, ist aufgrund von umfangreichen Aktenvernichtungen kaum noch nachzuvollziehen. Allein im Kanton Bern befanden sich 2700 Jugendliche in Haft.

Beendet wurde dieses Vorgehen erst durch Druck aus dem eurpäischen Ausland. Bedingt durch den Beitritt zum Europarat 1963 und der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1974 geriet diese innenpolitische Maßnahme immer stärker in den Fokus. Es vergingen allerdings weitere 7 Jahre, bis die »administrative Versorgung« endgültig abgeschafft wurde.