Notizen Beitrag

Tusche und Tarif

Zwei Spitzel im direkten Umfeld des NSU?
Tusche und Tarif
Bild von Sorcyress

Von Anfang an war der Fall kurios: Bereits im Januar wurde bekannt, daß Carsten Schultze Kontaktperson des NSU war. Als rechte Hand von Ralf Wohlleben beschaffte er die Tatwaffe der Mordserie. Schon Ende 2000 stieg er jedoch aus der Szene aus, zog aber erst im August 2003 aus seinem Umfeld weg nach Köln. Im Spätherbst 2003 begann er dann ein Studium an der FH Düsseldorf, bekannte sich dort zur Homosexualität und wurde AIDS-Berater.

Unklar blieb jedoch die Zeit zwischen seinem angeblichen Ausstieg Ende 2000 und dem Umzug nach Köln 2003. Ebenso bleibt der genaue Zeitpunkt der Waffenbeschaffung zwischen 1999 bis 2000 ungeklärt. Noch merkwürdiger erschien jedoch die Tatsache, daß das Thüringer Landesamt für Verfassungschutz (TLfV) den Namen Schultzes aus seinem Jahresbericht für 2000 herausstrich.

In dessen Monatspostille »Nachrichtendienst« wurde er im Juli 2000 noch als neu gewählter Vorstand der »Jungen Nationalisten« in Thüringen, der Jugendorganisation der NPD, erwähnt:

Etwa 40 Personen wählten danach den 35-jährigen Sandro Tauber zu ihrem Vorsitzenden und Carsten Schultze und Patrick Wieschke zu Stellvertretern.

Im Jahresbericht standen nur noch seine zwei Vorstandskollegen:

Sie wählten in der geschlossenen Veranstaltung Sandro Tauber zum ersten Landesvorsitzenden und Patrick Wieschke zu seinem Stellvertreter.

Das Landesamt begründete die geschönte Darstellung der Wahl auf Nachfrage mit der plötzlichen Aufgabe seiner Funktion im Jahr 2000. Doch warum sollte sein Name nicht erscheinen? Das Verschweigen seiner Wahl erscheint nachvollziehbar, wenn er für den Verfassungschutz 2000 angeworben wurde – im gleichen Jahr soll er wieder ausgestiegen sein. Eine V-Person, die im Rahmen der »Operation Rennsteig« geworbenen wurde, entspricht laut dem Spiegel eben diesem Profil:

„Tusche“ kam ebenfalls 2000, stieg aber noch im selben Jahr wieder aus.

Schultze soll später gegenüber Bekannten in Düsseldorf dargelegt haben, daß er in einem Aussteigerprogramm war. Das Bundesamt für Verfassungschutz (BfV) in Köln startete 2001 ein solches Programm, das »psychologische Beratung, Unterstützung bei Qualifizierungsmaßnahmen und Unterstützung bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche« einschließt. Da er 2003 für nur wenige Monate nach Köln und darauf nach Düsseldorf zog, entspricht dieser kurze Zeitraum dem Beratungsangebot des Kölner Bundesamtes.

Daher stellt sich die Frage, ob Schultze Informationen über die Terrorzelle an das BfV lieferte: Ob 2000 als V-Mann »Tusche« oder 2003 als Informant im Aussteigerprogramm. Die Führungsakte von »Tusche« wurde jedoch vernichtet.

Neben diesem Verdacht, daß das BfV zeitweilig über einen V-Mann im engsten Umfeld des NSU verfügte, wurde auch zur V-Person »Tarif« die Frage nach einer Beziehung zum Umfeld des NSU gestellt: Die Fallakte des Informanten wurde ebenso gelöschtder Klarname wurde gar nicht erst im Quellenregister geführt. Er sollte über die Neonaziszene in Niedersachsen berichten, wurde aber offenbar in Thüringen bei der »Operation Rennsteig« geworben.

Doch wie aus streng geheimen Verfassungsschutzakten hervorgeht, war V-Mann „Tarif“ im Jahr 1999 in die Suche nach der NSU-Truppe eingebunden. […] „Das BfV hatte in diesem Zusammenhang eigene Quellen, insbesondere den u. a. aus der niedersächsischen Neonazi-Szene berichtenden VM Tarif, sensibilisiert und befragt.“

Diese Darstellung entspricht der Geschichte des Holger Gerlach, der als Unterstützer des NSU 1997 von Thüringen nach Niedersachsen zog: Eben zu der Zeit, als die »Operation Rennsteig« anlief. Wurde gegen ihn 1997 noch wegen eines Rohrbombenanschlags ermittelt, verloren ihn die Behörden später angeblich aus den Augen.

Hierbei ist bemerkenswert, daß Holger Gerlach über Kontakte zu Carsten Schultze verfügte. Auch stand er zudem in Verbindung mit Thorsten Heise, bei dem Schultze auf Empfehlung des V-Mannes Tino Brandt nach einer Unterkunft für das abgetauchte Nazi-Trio suchte.

Zu dem in der rechtsradikalen Szene einflußreichen Thorsten Heise hatten also Schultze, Gerlach, Wohlleben und Brandt Kontakt – laut Spiegel Online wird der NPD-Kader Heise ebenso verdächtigt, »dass staatliche Stellen den Radikalen protegiert haben könnten«. Eine Annahme, die von der Tatsache gestützt wird, daß der Spitzel Tino Brandt, der vom TLfV für die Suche nach dem NSU eingespannt wurde, Heises Anwesen als Versteck für das Zwickauer Trio empfohlen hatte: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Heise sollte über den befreundeten Rechtsradikalen Manfred Roeder Kontakt zu Claus Nordbruch in Südafrika herstellen, um für den NSU einen Weg ins Ausland zu eröffnen. 1

Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich der Verdacht, daß staalichen Stellen direkten Kontakt in das Umfeld des NSU hatten. Daneben hat eine weitere Person in Jena dem Amt Informationen über die Gruppe angeboten. In Thüringen betrieb das BfV im Rahmen der »Operation Rennsteig« eine Tarnfirma. Neben den genannten drei Personen hatte der NSU-Kurier Jürgen Helbig gegenüber dem Militärischen Abschirmdienst ausgesagt – offen blieb, ob er für den an der »Operation Rennsteig« beteiligten Geheimdienst als V-Mann arbeitete.


Eine umfangreiche Sammlung von Hintergründen findet sich hier.