Magazin Beitrag

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Ein Beitrag zur europäischen Krise

Als die Staatschefs sechs europäischer Länder im Jahre 1957 die Römischen Verträge unterzeichneten, legten sie damit den Grundstein für eine Periode der Prosperität und des Zusammenwachsens. Die Zeiten, in denen Politik noch von Visionen geprägt wurde, sind jedoch vorbei. Mittelmäßige Politiker, denen die wöchentlichen Zustimmungswerte in Meinungsumfragen wichtiger sind als der europäische Gedanke, verspielen in wenigen Monaten das Werk mehrerer Generationen. Die Diskussion um einen Ausschluss Griechenlands aus der Gemeinschaft ist dabei nur der bisherige Höhepunkt wiedererstarkender nationaler Egoismen.

Wenn man die aktuelle politische Diskussion rund um die Eurokrise verfolgt, wähnt man sich in einem theologischen Seminar. Anstatt konstruktiv Auswege aus der Krise zu suchen, wird lieber über Schuld und Sühne debattiert. Aus deutscher Sicht hat sich die griechische Politik an den „heiligen Stabilitätskriterien“ versündigt, als sie ihre Wahlgeschenke mit Defiziten bezahlte, auf die sich nach den Buchstaben der Euro-Verträge nicht hätte einlassen dürfen. Um sich von dieser Sünde reinzuwaschen, reichen jedoch nicht fünf Rosenkränze und zehn Vaterunser – auf die neun fetten Jahre seit Einführung des Euros sollen nun neun magere Jahre der Buße folgen.

Gefährlich werden solch moraltheologische Vorstellungen dann, wenn man sie als Grundlage für volkswirtschaftliche Entscheidungen heranzieht. Auch wenn deutsche Politiker, Journalisten und Stammtischproblemlöser dies nicht verstehen wollen – die schwäbische Hausfrau wird auch dann kein passendes volkswirtschaftliches Vorbild sein, wenn sie ein Büßerhemd trägt.

Der europäische Gedanke basiert auf gemeinsamer Prosperität. Wer ein ganzes Volk für die Fehler seiner Regierung ökonomisch bestrafen will, vergeht sich am europäischen Gedanken. Mehr noch: Wer wegen nationaler Egoismen mehr als zehn Millionen Europäern die Lebensperspektive nehmen will, zündelt am europäischen Haus.

Griechenland hat fast genau so viele Einwohner wie Baden-Württemberg und eine Wirtschaftsleistung, die mit der Hessens zu vergleichen ist. Die Staatsschulden Griechenlands entsprechen nicht einmal 1,5% des Geldvermögens der Bürger der EU. Wenn ein gemeinsames Europa es noch nicht einmal schafft, mit diesem überschaubaren Problem fertig zu werden, hat es ohnehin keine Daseinsberechtigung. Aber was soll man auch von einer Politik erwarten, deren oberstes Ziel es ist, „marktkonform“ zu sein? Je mehr die Politik sich darum bemüht, sich dem Primat der Finanzmärkte zu unterwerfen, desto mehr verliert sie den Blick für das große Ganze. Robert Schuman und Jean Monnet würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie mitbekommen müssten, dass die heutige politische Elite den europäischen Gedanken zur Verhandlungsmasse im Wettbewerb um die flüchtige Gunst von Spekulanten macht.

Wer Griechenland aus der Eurozone – und damit aus der EU – werfen will, sollte zunächst einmal sagen, wie er sich das denn überhaupt konkret vorstellt. Aus einer Währungsunion auszusteigen ist etwas anderes, als beispielsweise ein System fester Währungskurse zu verlassen. Die EWU-Verträge lassen weder einen Ausschluss, noch einen freiwilligen Ausstieg aus der Eurozone zu. Auch die Verträge von Lissabon, Maastricht und Rom sehen – wenn überhaupt – nur einen freiwilligen Austritt aus der EU vor, der dann auch mit einem Austritt aus der Eurozone einhergehen könnte. Freiwillig will Griechenland aber nicht aus dem Euro aussteigen. Keine ernst zu nehmende griechische Partei spielt auch nur mit dem Gedanken an die Rückkehr zur Drachme. Wer Griechenland aus der Eurozone werfen will, müsste also auf EU-Ebene zunächst einmal ein vollkommen neues Vertragswerk aushandeln, das den Vertrag von Lissabon ersetzt und den Ausschluss eines Landes gegen dessen Willen vorsieht. Natürlich hätte Griechenland bei den Verhandlungen zu einem solchen Vertragswerk ein Vetorecht. Wer all dies nicht zur Kenntnis nimmt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Populist zu sein.

Für Deutschland wäre ein Ausschluss Griechenlands volkswirtschaftlich keinesfalls von Vorteil. Für Griechenland wäre ein Austritt aus der Eurozone jedoch eine ökonomische Katastrophe. Die Analysten der Schweizer UBS rechnen mit einem volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 50 bis 60% des Bruttoinlandsprodukts, die japanischen Analysten von Nomura weisen ferner darauf hin, dass ein Austritt aus der Eurozone mit einer massiven Kapitalflucht, Handelsproblemen, Energie- und Lebensmittelengpässen und einer massiven Steigerung der Arbeitslosigkeit einhergehen würde. Wer glaubt, dass ein Land, das vom „demokratischen Europa“ vor die Tür gesetzt wird und solch bittere Entwicklungen durchlaufen muss, noch eine demokratische Zukunft vor sich hat, muss naiv sein.

Wenn Populisten wie Hans-Werner Sinn darauf hinweisen, dass Griechenland am Ende dieses Prozesses Wettbewerbsvorteile hätte, so ist dies blanker Zynismus. Muss man ein Land erst zerstören, um es wettbewerbsfähig zu machen? Wo bleibt denn hier die viel beschworene Solidarität? Wollen wir im 21. Jahrhundert den Darwinismus zur Grundlage europäischer Fragen machen? Wenn dem so wäre, dann wäre Europa bereits gescheitert und der europäische Gedanke nicht mehr als ein Gegenstand von Sonntagsreden.