Magazin Beitrag

Russische Generäle werfen ex-Präsident Medwedew Verrat vor

Wegen seiner angeblich zögernden Haltung im Georgien-Krieg 2008 feuern russische Generäle Breitseiten gegen Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Ein Gastbeitrag von Ulrich Heyden
Inszenierte Einigkeit
Inszenierte Einigkeit Bild von Michael Batiukov

In einem 47 Minuten langen Internet-Video werfen russische Generäle dem ehemaligen  Präsidenten und Oberkommandierenden der russischen Streitkräfte, Dmitri Medwedew, vor, er habe im Georgien-Krieg 2008 zögerlich gehandelt und dadurch den Tod von 1.000 südossetischen Zivilisten verschuldet. In dem Film, der am 7. August bei youtube gepostet wurde, loben die Generäle dagegen Putin für sein entschiedenes Handeln in dem Konflikt mit dem südlichen Nachbarn.

Die Kritik der Generäle wirft gleich mehrere Fragen auf. Verzögerte Medwedew im Georgien-Krieg das militärische Eingreifen Russlands und wenn ja, aus welchen Gründen? Kommt die Kritik der Generäle Putin gerade recht, weil er den Einfluss von Ministerpräsident Medwedew und der hinter ihm stehenden Finanzgruppen zurückdrängen will?

Warten aus „Image-Gründen“

Russland habe mit dem Einsatz von Truppen aus „Image-Gründen“ gewartet, sagen die Generäle in dem Film „Ein verlorener Tag“. Mit Image-Gründen ist gemeint: Russland wollte in der Welt-Öffentlichkeit nicht als Aggressor erscheinen.

Medwedew habe den Marsch-Befehl erst nach einem „Fußtritt“ von Putin gegeben, behauptet der ehemalige Generalstabschef Juri Balujewski, den Medwedew im Juni 2008, zwei Monate vor Kriegsbeginn, von seinem Posten entlassen hatte.

Tatsache ist, dass das angeblich zögerliche Handeln von Medwedew Russlands Image nichts genutzt hat. Russland wurde von den meisten westlichen Medien unmittelbar nach Kriegsbeginn als Aggressor gescholten. Erst viel später entdeckten die westlichen Medien den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili als Kriegstreiber. Doch da interessierte sich die Öffentlichkeit schon nicht mehr für den Georgien-Krieg. Das Thema war „durch“, wie es in der Medienbranche heißt.

Raketen auf eine Stadt

Was ist nun dran an den Vorwürfen der russischen Generäle? Gehen wir zurück zum August 2008. Schon seit Anfang des Monats hatte es Scharmützel zwischen georgischen Truppen und Verbänden der südossetischen Separatisten gegeben. In der Nacht auf den 8. August 2008 kam es dann zur Eskalation. Um Mitternacht beschossen georgische Truppen mit „Grad“-Raketenwerfern Zchinwali, die Hauptstadt der seit 1991 abtrünnigen Provinz Südossetien und rückten mit Panzern in die Stadt vor. In einem Handstreich wollte der georgische Präsident, Michail Saakaschwili, die seit 1991 abtrünnige Provinz Südossetien zurückerobern.

Am Morgen des 8. August gab der damalige Präsident und Oberkommandierende der russischen Streitkräfte, Dmitri Medwedew, den russischen Truppen den Befehl zuzuschlagen. Die russische Operation mit dem offiziellen Namen „Erzwingung Georgiens zum Frieden“ begann. Bereits am Abend des 8. August wurden die georgischen Truppen von russischen Panzern an den Stadtrand von Zchinwali gedrängt.

Die heiße Phase des Krieges dauerte fünf Tage. Am 12. August 2008 stellten der damalige Präsident Dmitri Medwedew und Nicolas Sarkozy, damals Vorsitzender des Europäischen Rates, in Moskau einen Friedensplan vor. Am gleichen Tag erklärte Dmitri Medwedew die Operation zur „Erzwingung des Friedens“  für beendet.

Geheimnisvolles „Studio Alpha“

Der Film „Ein verlorener Tag“ ist für russische Verhältnisse höchst bemerkenswert. Zum einen weil hohe Militärs, von denen allerdings einige schon im Ruhestand sind, einen amtierenden Ministerpräsidenten den Tod von 1.000 Zivilisten vorwerfen. Zum anderen weil die Produzenten des Films unbekannt sind. Im Abspann des Filmes wird als Hersteller ein ominöses „Studio Alpha“ und als Produktions-Standort die nordrussische Stadt Twer genannt. Möglicherweise handelt es sich bei dem „Studio Alpha“ um einen Tarnnamen für ein Film-Projekt aus Putins Umfeld.

Putin weicht aus

Auch Putin und Medwedew geben keine klaren Hinweise darauf, wer hinter dem ominösen „Studio Alpha“ stecken könnte. Wladimir Putin wich nach der Veröffentlichung des Films einer klaren Stellungnahme aus. Als Putin von Journalisten dann gefragt wurde, ob er im August 2008 auf einem Truppeneinmarsch in Georgien bestanden habe, antwortete der Präsident ausweichend, „das ist eine andere Frage“. Der russische Präsident bestätigte auf einer Pressekonferenz in Moskau lediglich – und das war neu - dass es von russischer Seite einen „Plan“ für den Fall eines georgischen Angriffs auf Süd-Ossetien gab. Auf Grundlage dieses „Planes“  hätten – so Putin - russische Militärs vor dem Kriegsbeginn „südossetische Freiwillige“ militärisch ausgebildet. Außerdem sei „Technik mobilisiert“ und seien nicht nähere beschriebene „andere Maßnahmen“ durchgeführt worden. Der Plan hatte aber Defensiv- und keinen Offensiv-Charakter, wie die georgische Regierung in diesen Tagen erklärte.

Telefonate aus Peking

Bemerkenswert an der nun in Moskau entbrannten Debatte um den Film „Ein verlorener Tag“ ist auch, dass Putin und Medwedew sich vier Jahre nach dem Georgien-Krieg ganz unterschiedlich an den militärischen Konflikt erinnern.
Putin, der sich in den heißen August-Tagen bei der Olympiade in Peking befand, erklärte vor einigen Tagen auf die Frage eines Journalisten der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Novosti, er habe am 7. und 8. August 2008 von der chinesischen Hauptstadt aus mit dem damaligen Präsidenten Medwedew telefoniert. Medwedew dagegen erklärt, er habe die Entscheidung zum Truppeneinsatz alleine getroffen und erst am Abend des 8. August 2008 ein Telefongespräch mit Putin geführt.

Auch was den Kriegsbeginn betrifft, stimmen die Angaben von Putin und Medwedew nicht überein. Putin sagt, georgische Truppen hätten bereits am 6. August 2008 in Süd-Ossetien massiv geschossen. Medwedew erklärt, dass sei erst am 8. August der Fall gewesen. Am 8. August um vier Uhr morgens, zweieinhalb Stunden nach dem „aktiven Eingreifen“ der georgischen Truppen, habe er den russischen Truppen den Marschbefehl gegeben.

Die Generäle waren sich in ihrem Handeln offenbar sicher

Tatsächlich scheint es aber so gewesen zu sein, dass die russischen Generäle im Nordkaukasus gar nicht auf den Befehl des damaligen Oberkommandierenden, Dmitri Medwedew, warteten, sondern nach dem massiven georgischen Angriff in der Nacht auf den 8. August, nach dem für diesen Fall ausgearbeiteten Notfall-Plan handelten und die Truppen in Marsch setzten. Dies zumindest berichtet das Kreml-kritische Wochenmagazin „Wlast“ unter Bezug auf ein bereits früher veröffentlichtes Interview mit dem damaligen Kommandeur der 58. russischen Armee, General Anatoli Chrulew, wonach Chrulew dem operativen Stab bereits am 8. August um 0:03 Uhr den Befehl gab, das Paket mit dem Plan für den Notfall zu öffnen, also vier Stunden vor dem offiziellen Befehl des Oberkommandierenden Dmitri Medwedew.

Attacke auf Medwedew wegen  Machtkampf der Oligarchen?

Die Debatte um den Film „Ein verlorener Tag“ wurde durch die These liberaler Moskauer Kommentatoren, eigentlich gehe es bei der Kritik der Generäle um ein Gerangel der Oligarchen, noch verworrener.  Aufschlussreich ist die Einschätzung des Wochenmagazins „Wlast“ nach der „die Attacke auf den Ministerpräsidenten zeitlich zusammenfällt mit der Entscheidung von Schlüsselfragen durch die Regierung, insbesondere über die Privatisierung von Staatsbetrieben, den Zugang des privaten Kapitals zur Erschließung des Festlandsockels (am Nordpol, Anm. d. Autors) und den Tarifen der staatlichen Monopole. In diesen Diskussionen hatte sich Ministerpräsident Medwedew und Vize-Premier Arkadi Dworkowitsch gegen einflussreiche Kreise in der Elite gestellt.“ Möglicherweise kam Putin die Kritik der Generäle an Medwedew also gerade recht.

Das Massenblatt Moskowski Komsomolez  geht noch weiter und behauptet, der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew habe dem im September 2011 verkündeten Ämtertausch mit Putin nur zähneknirschend zugestimmt. Deshalb hätten Putin-nahe Kreise beschlossen seinen Einfluss zu beschränken.

Konflikte in der Elite verschärfen sich

Was an dieser Deutung der Ereignisse dran ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Tatsächlich hat sich Medwedew in der Öffentlichkeit – vor allem in Wirtschaftsfragen – immer als liberaler Politiker präsentiert. Putin hat dagegen die Rolle des starken Staates betont. Dass die Kritiker des „liberalen“ Medwedew sich nun mit einem Film an die Öffentlichkeit wendeten, deutet darauf hin, dass sich die Konflikte in der russischen Elite verschärfen.