Magazin Beitrag

Perspektiven einer Bewegung für Klimagerechtigkeit nach Kopenhagen

Die Rosa Luxemburg Stiftung lud zu einer Podiumsdiskussion nach Berlin
COP 15 <br/>Bild von wwf france, Flickr
COP 15 Bild von wwf france, Flickr

In der Reihe »Politik Aktuell« lud die Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) in Berlin am 21. Januar 2010 zu einer Veranstaltung mit dem Titel: »Das war der Gipfel! Perspektiven nach dem Scheitern der Weltklimakonferenz von Kopenhagen«.

Evelin Wittich, Direktorin der Akademie für Politische Bildung an der Rosa Luxemburg Stiftung, eröffnete das Podium. Moderiert wurde die gut besuchte Veranstaltung von Sabine Nuss, Redakteurin der Zeitschrift Prokla und Referentin für Politische Ökonomie und Nachhaltigkeit bei der RLS.

Geladene Rednerinnen und Diskutantinnen waren Eva Bulling-Schröter (MdB Die Linke, stellvertretende Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages), Chris Methmann (Attac), Tadzio Müller (Climate Justice Action) und Jürgen Maier (Leiter des Forum Umwelt und Entwicklung). Die Rednerinnen zogen jeweils Bilanz der COP (Conference of Parties) 15, um vor diesem Hintergrund Perspektiven für eine weitergehende Organisierung zu entwickeln. Denn mag auch die mediale Aufmerksamkeit für den Klimawandel nach der COP 15 erwartungsgemäß gesunken sein, das Problem selbst hat deshalb nichts an Dringlichkeit eingebüßt.

Eva Bulling-Schröter zeigte sich enttäuscht vom Ausgang der COP 15. Sie verurteilte das gegenwärtig in den Medien betriebene „Bashing“ von China und einiger lateinamerikanischer Länder als „unverantwortliche Desinformation“ an der sich selbst einige Umweltverbände beteiligen würden und beklagte das unbewegliche Emissionsreduktionsangebot der EU und Deutschlands während des Gipfels. Wenn sich die CO2-Emissionen wie nun absehbar weiter entwickeln würden, könne die notwendige Erwärmungsbegrenzung bei Weitem nicht eingehalten werden. Vielmehr lande man bei der derzeitigen Entwicklung bei effektiv 5 °C, was katastrophale Folgen bedeute. Auch die Finanzzusagen der Industrieländer seien unzureichend und schwammig gewesen. Man wolle sich aus der Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern ziehen. Der Gipfel war insofern ein klarer Misserfolg. Dennoch seien die UN-Diskussionen weiterhin ebenso notwendig wie der politische Druck „von unten“.  Hier seien „Blockaden, Kraftwerkbesetzungen, ziviler Ungehorsam usw. (…) unverzichtbar“. Als Betätigungsfelder für linke Klimapolitik machte Bulling-Schröter den Kampf gegen den Neubau von Kohlekraftwerken, Energieeffizienz und das Schmieden breiter, kampffähiger Bündnisse aus.

Chris Methmann von Attac hatte keine hoch gesteckten Erwartungen an den Gipfel von Kopenhagen. Er rechnete nicht mit einem wirklichen Erfolg. Nur sei es, was ihn überrascht habe, nicht einmal gelungen, den Gipfel zu einem PR-Erfolg zu machen und der Öffentlichkeit als „Erfolg“ zu verkaufen. Warum nun war dies der Fall? Zur Beantwortung dieser Frage, so Methmann, ist es nötig, die Messlatte für einen Erfolg zu kennen. Er unterschied drei mögliche Kriterien. Allesamt blieben sie unerfüllt. Es gab keinen „Deal“, kein „Kyoto-Nachfolgeabkommen“ und über „echten und gerechten Klimaschutz“ wurde nicht einmal gesprochen. Nach jedem denkbaren Kriterium habe die Politik in Kopenhagen versagt. Dennoch sei der Gipfel für die Bewegung ein „großer Erfolg“ gewesen, gar „so etwas wie die Geburtsstunde einer globalen Klimabewegung.“ Aber das Kind, das diese Bewegung ist, könne noch nicht laufen, so Methmann weiter. Was also sind die Perspektiven?

Zum Ersten könne es weder um einen völligen Boykott von Verhandlungen gehen, noch sei ein all zu höfliches Bitten eine gute Alternative; weder ein absoluter Antagonismus – denn ohne „die da oben“ würden wir es in der nötigen Zeit nicht schaffen – noch gänzliche Antagonismenlosigkeit. Es brauche zudem „konkrete Konfliktpunkte“, während eine faule „Pauschalverdammung“ notwendig diffus bleibe. Einen solchen Mangel an Konkretion und Strategiebildung könne man sich aber nicht leisten.

Zum Zweiten brauche es auch weiterhin Gipfel als „Kristallisationspunkte“ für den Protest, wie etwa die kommende Mobilisierung im Juni nach Bonn. Die 100.000 Protestierenden von Kopenhagen seien in dieser Beziehung eine gewisse „Bürde“ für die Wahrnehmung und Beurteilung kommender Erfolge bzw. Misserfolge.

Drittens, so Methmann, brauche es ein „breites Bündnis, einen „Kompromiss“ zwischen den radikalen Antagonisten und den „Kuschelkursfahrern“.

Tadzio Müller vom Climate Justice Action Network gab sich ähnlich abgeklärt. Ein Scheitern des Gipfels sei zu erwarten gewesen. Nur sei es in diesem Fall nicht besonders befriedigend, Recht behalten zu haben. Müller stellte die Frage, ob Kopenhagen „ein neues Seattle“ gewesen sei. Zu ihrer Beantwortung  ist es zunächst nötig, zu wissen, was Seattle ausgemacht hat, als in der Stadt 1999 „quasi aus dem Nichts“ eine politisch sofort handlungsfähige Bewegung geboren wurde. Dies umriss er in vier Punkten. Während der Proteste in Seattle im Jahr 1999 wurde die Delegitimierung des Freihandels erreicht, es wurden neue strategische Bündnisse, nach innen wie nach außen, geschmiedet, es war möglich selbst Inhalte zu setzen und es konnte der Polizeirepression wirksam widerstanden werden.

In Kopenhagen wurde keine Output-Legitimation erreicht, denn es gab kein Ergebnis. Von einer Delegitimierung könne also gesprochen werden. Es wurden neue Bündnisse geschmiedet, die zum Teil bis in die Delegiertenzirkel hineinreichten. Die neue strategische Option des „Ausbruchs“ wurde erprobt. Einige NGOs verließen das Tagungszentrum und sprachen draußen mit sozialen Bewegungen und Aktivistinnen. Auch habe es Gespräche mit westafrikanischen und lateinamerikanischen Delegierten gegeben. Nicht zuletzt weil die große Demonstration ein eher unpolitischer „Spaziergang für den Klimaschutz“ gewesen sei, sei es jedoch kaum möglich gewesen, Inhalte zu definieren, die sich vom vagen Konsens über die Notwendigkeit des Klimaschutzes abheben. Auch sei man von einer besonders effektiven und gut organisierten Polizeiarbeit überrascht worden. Bemerkenswert sei die „präventive Verhaftung von 2000 Leuten“ gewesen, das heißt – und dies müsse man sich klar machen – ihre Verhaftung „für Dinge (…), die sie nicht getan haben“. Im Licht dieser Entwicklung sei es nötig, den Raum für zivilen Ungehorsam weiter zu öffnen. Denn „angesichts des totalen Scheiterns der legalen Strukturen“, werde man nicht auf ihn verzichten können. Dies wisse selbst Al Gore.

Gipfel würden auch in Zukunft wichtig bleiben, so Müller weiter, doch sollte darauf nicht zu viel Energie verwandt werden. Stattdessen gebe es drei wichtige Felder der Auseinandersetzung. Zum Einen die Kohlekraft, samt dem Tagebau und was sonst dazu gehört. In Deutschland seien 10 neue Kohlekraftwerke genehmigt worden und befänden sich im Bau, weitere 15 seien in Planung, während 11 bereits verhindert wurden. Zum Anderen müsse eine Renaissance der Atomkraft unbedingt verhindert werden. Darauf könne auch aus dem Grund nicht verzichtet werden, dass die Anti-Atomkraft-Bewegung, neben der antifaschistischen Bewegung, die einzige funktionierende linke Bewegung in Deutschland sei. Drittens gehe es darum, einen klimagerechten erneuerbaren Energiesektor zu erzwingen.

Jürgen Maier war mit Kopenhagen auf seinem 15. Klimagipfel, hatte keine übersteigerten Erwartungen und war dementsprechend wenig enttäuscht. Er insistierte, dass ein globaler Strukturwandel nicht im Konsens stattfinden würde, da er Gewinner ebenso wie Verlierer kenne. Was also solle man erwarten von den UN, die nur im Konsens agieren können und auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner? Dieser sei gegenwärtig nicht auf einem relevanten Niveau. Die Handlungsebene sei also eine andere. Die Voraussetzungen für den UN-Prozess müssten national und regional geschaffen werden. Auf internationaler Ebene gehe dies nicht. Die UN könne Entwicklungen allenfalls nachvollziehen. Viele Länder könnten ein anspruchsvolles Abkommen gegenwärtig schon deshalb nicht unterzeichnen, weil sie den Strukturwandel, weg von fossilen Brennstoffen, noch nicht einmal im Ansatz vollzogen hätten. Die „Systemfrage“ zu stellen sei dabei nicht sofort notwendig. Vielmehr gebe es eine ökonomische Basis für besagten Strukturwandel. Der größte Windpark der Welt in Texas, sagte Maier, sei chinesisch. China sei in dieser Hinsicht relativ weit, denn es ist Fossilimporteur und deshalb zum Strukturwandel gezwungen. Die Rede von „Opfern“ und „Verzicht“ gehe fehl. Erneuerbare Energien seien ein Wachstumsmarkt.

In der Diskussion kam Tadzio Müller auf die Option der „Richtungsforderungen“ zu sprechen, die „früher bei der trotzkistischen Linken“ einmal „Übergangsforderungen“ geheißen hätten. Diese gingen schon innerhalb des Systems über das System hinaus. Sicher sei aber nur, dass ein Wachstumsrückgang auch die Emissionen senken würde, wie dies beim Zusammenbruch des Ostblocks zu beobachten war.

Chris Methmann wandte ein, dass durch Investitionen in erneuerbare Energien Wachstum und sinkender Ressourcenverbrauch kurzfristig kombinierbar seien. Und da eine dahingehende Dynamik gegenwärtig spürbar ist, müsse man diese auch nutzen, abseits einer all zu platten Wachstumskritik, denn die Zeit laufe uns auch ein wenig davon, meinte Methmann. Langfristig, erklärte auch er, sei Wachstum bei sinkendem Ressourcenverbrauch jedoch nicht möglich, „Punkt“.  

Sicher habe die innersystemische Energieeffizienz Grenzen, bestätigte dies Eva Bulling-Schröter. Aber gerade weil sich, wie sie erwarte, einige unerfreuliche Entwicklungen unter Schwarz-Gelb nicht werden verhindern lassen, gelte es gemeinsam Druck aufzubauen. Der Gegner stehe woanders und „dicke Bretter“ könne man nur gemeinsam bohren.

Jürgen Maier erinnerte daran, dass das Maß ökonomischen Wachstums weder direkt mit Emissionen noch mit Lebensqualität zu tun habe. Deshalb sei das Bruttoinlandsprodukt kein guter Indikator, wenngleich bisher fast nur Ökologen so weit seien, ihn hinter sich zu lassen.

Auf den aus dem Publikum geäußerten Verdacht, dass womöglich Themen, die den Lebenswandel der Leute direkt betreffen, wie Ernährung, Fleischkonsum und Verkehr, nicht angesprochen wurden, weil dies unbequem und unpopulär sei, entgegnete Tadzio Müller, dass der Bewegung einstweilen noch die Kapazitäten fehlen würden. Chris Methmann bekräftigte, dass konkrete, verständliche und popularisierbare Forderungen, wie etwa nach einem kostenlosen Nahverkehr, wichtig seien. Auch Jürgen Maier gab zu Protokoll, dass es in den Bereichen S-Bahn, Bahn und Straßenbau große Defizite gebe. Die „reine Kuschelfraktion“ sei aber nach Kopenhagen auch deutlich kleiner geworden. Überhaupt seien die Pole „Pauschalverdammer“, die alles irgendwie kaputt machen wollten, einerseits und naive „Kuschelfraktion“ andererseits (mediale) Zerrbilder. Vor allem, so Maier, spiele es sich doch in einem Zwischenbereich ab.

Eva Bulling-Schröter räumte ein, dass Die Linke als eine junge Partei in Ökologiefragen noch wenig bewandert sei. Auch werde dieses Thema noch vor allem mit den Grünen assoziiert. Viele Leute würden das Klima schützen wollen, wüssten aber nicht wie das gehen soll. Die Politik müsse nun die Rahmenbedingungen schaffen. Oftmals würden Leute erwarten, dass Politiker mehr dahingehende Gesetze machen.

Das Neue Deutschland, der Freitag und das Online-Magazin Wir Klimaretter berichteten über das Treffen.

Redebeiträge und Diskussion können als Videodateien heruntergeladen werden.