Magazin Beitrag

Kein Baum wächst in den Himmel

Ein Einwurf

Aus Anlass der jüngsten Zinssenkung durch die EZB hält der renommierte Wirtschaftsjournalist Christian Rickens fest: Mit Geldpolitik kann kaum Wirtschaftswachstum erzeugt werden. Die mehr oder weniger hilflosen Versuche, erst über Staatsschulden, seit der Finanzkrise über extrem niedrige Leitzinsen Wachstum zu generieren, ändern demnach wenig an einem historischen Trend, dem Rückgang des Zuwachses beim BIP in Europa, Nordamerika und Japan. Doch was sagt uns das eigentlich grundsätzlich über unsere Gesellschaft?

Ricken liegt sicher richtig mit seiner langfristigen Beobachtung. Ebenso zutreffend ist auch seine - freilich nicht ganz konsequent zu Ende gedachte - Annahme, dass verschiedene Spielarten der Grenznutzentheorie dafür keine überzeugende Erklärung bieten können. Eine bessere bleibt er jedoch schuldig.

Das eigentliche Problem liegt sicher tiefer: Kapitalismus stößt ohne Wachstum an seine systemisch bedingten Grenzen. Das macht die entwickelten Volkswirtschaften instabil und - auch das ist ein in allen westlichen Ländern zu beobachtender Trend - tendenziell unsozialer. Denn die Verteilungskämpfe werden härter, wenn der zu verteilende Kuchen kleiner wird. Der Neoliberalismus und damit verbunden der Rückbau des Sozialstaates war nicht zuletzt auch eine Antwort der Eliten auf die Wachstumsstockungen der letzten Dekaden.

Was aber folgt daraus? Ist es wirklich richtig, wie Rickens suggeriert, dass unsere Bedürfnisse schon so weit befriedigt sind, dass Wachstum einfach nicht mehr wirklich mehr Lebensqualität schaffen kann? Das müsste man vielleicht auch einmal vor dem Hintergrund maroder Schulen oder überfüllter Krankenhäuser erklären. Und das müsste Herr Rickens auch dem flaschensammelnden Rentner plausibel machen können. Es steht zu vermuten, dass solcherart Betroffene anders darüber denken.

Eine naheliegende Lösung lautet: Es gibt nicht zuwenig Wohlstand, er ist nur falsch verteilt. Es handelt sich hier also nicht einfach um eine theoretische Frage der Wirtschaftswissenschaft, sondern primär um eine politische Frage. Und politische Fragen sind immer auch Machtfragen. Faktisch war es historisch betrachtet fast immer so, dass wachsende Ökonomien mehr und einfacher verteilen konnten: Kein rheinischer Kapitalismus ohne Wirtschaftswunder, kein Sozialstaat überhaupt ohne Industrialisierung. Doch diese sozialen Errungeschaften wurden nicht von oben gewährt, sie wurden von unten erkämpft. Es braucht also beides, einen verteilbaren Kuchen und Menschen, die um ein angemessenes Stück davon zu ringen bereit sind. Solange gigantische Privatvermögen gesellschaftlich betrachtet sinnlos im Börsencasino hin- und hergeschoben werden, solange gleichzeitig Menschen hier und anderswo ganz grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigen können, besteht politischer Handlungsbedarf. Und, das ist die gute Nachricht dabei: Solange besteht auch die reale Möglichkeit zu Verbesserungen.

Die zweite grundlegende Antwort auf das Wachstumsproblem könnte heißen: Wenn wir eigentlich schon genug produzieren und wenn wir es außerdem schaffen, diesen ausreichenden Wohlstand sozial gerecht zu verteilen, brauchen wir tatsächlich kein Wachstum mehr. Denn klar ist auch: Die natürlichen Ressourcen dieses Planeten sind begrenzt. Aktuelle Themen wie Klimawandel, jahrtausende stahlender Atommüll, eine vielfältig kontaminierte Umwelt, Bodenerosion und vieles mehr zeigen, dass die Erde nicht endlos be- und vernutzt werden kann. Aus dieser Perspektive betrachtet ist mangelndes Wachstum gar kein Problem. Es ist eine Lösung.