Magazin Beitrag

Sind Blogger Idioten?

Über Truther, Infokrieger und deren fehlgeleitete Leserschaft. Ein Gastbeitrag von Hanjo Henker

Wichtige Sondermeldung: Das Ende der Welt steht unmittelbar bevor! Wie soeben exklusiv aus Insiderkreisen bestätigt, planen bestvernetzte Illuminati die Weltherrschaft an sich zu reißen und die Menschheit zu versklaven! Oder nein, es sind die Bilderberger, nein die Juden. Ist aber eigentlich auch egal, denn der springende Punkt ist, dass die globale Finanzelite mutwillig Naturkatastrophen und Pandemien auslöst um uns erst zu töten und uns dann auszubeuten. Und die Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel sind in Wirklichkeit eine Biowaffe der Verschwörer!

Das glauben Sie nicht? Dann sollten Sie sich aber mal schleunigst auf die Suche nach Webseiten der so genannten Truther-Bewegung machen. Das Projekt EsoWatch bietet im Übrigen seriöse Erläuterungen bezüglich dieser werbeüberladenen Desinformationsangebote, die sich selbst gerne als Politikblogs verklären. Truther-Webseiten bieten vor allem eins: Alles Schlechte auf der Welt, anschaulich zusammengefasst und erklärt. So anschaulich, dass wirklich jeder es verstehen kann, untermauert von scheinbaren Beweisen die meist aus dem Zusammenhang gerissen werden oder Teile der Wirklichkeit ausblenden. Das Ergebnis zu dem die selbsternannten Wahrheitsfinder kommen, deckt sich meist mit der hier einleitend formulierten Sondermeldung. Das Problem an der Sache: Truther-Webseiten erfreuen sich steigendem Zulauf, besonders junge Leser neigen dazu die oft sehr kruden Phantasiekonstruktionen zu glauben.

Dass direkt neben den Katastrophenmeldungen Werbung für ABC-Schutzanzüge, Gasmasken und dubiose Goldhändler prangt scheint dabei jedoch niemanden zu stören. Während die Unterwanderung sämtlicher Regierungen der Welt durch einen kleinen Kreis von Weltverschwörern als selbstverständlich hingenommen wird, scheint die Verbindung von polemischer Panikmache mit plumper Geschäftemacherei ein zu komplizierter Zusammenhang zu sein, als dass er von den meisten Besuchern der Truther-Seiten auf Anhieb verstanden wird.

Doch wo liegt das tiefere Geheimnis der Verschwörungstheorien und Infokrieger-Seiten im Internet, die jüngst durch die Umstände der Erschießung Osama bin Ladens erneut Aufmerksamkeit auf sich zogen? In allererster Linie im Versagen der etablierten Medien selbst. Denn die Truther-Szene definiert sich zunächst einmal über die zweifellos berechtigte Kritik an der zunehmenden Verquickung der ökonomischen, politischen und medialen Elite. Jürgen Habermas hat sich kürzlich zu diesem Thema geäußert und das Problem auf den Punkt gebracht. Auch Sebastian Müller zeigt in seinem Essay „Strategien der Meinungsmache – die Medien als Instrument der Herrschaft“, angelehnt an Noam Chomsky, wie Interessensgruppen die Medien missbrauchen um ihre eigenen Individualinteressen durchzusetzen.

Zugegeben, um diese Debattenbeiträge zu verstehen bedarf es deutlich mehr intellektueller Eigeninitiative als bei der leicht verdaulichen Fertignahrung der Truther-Webseiten. Nach der Lektüre dieser Texte sollte jedoch klar geworden sein: Natürlich existieren Verbindungen zwischen den Eliten in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen, natürlich gibt es zahlreiche Beispiele dafür wie gesellschaftlich mächtige Gruppierungen ihre eigenen Interessensansprüche skrupellos und im Widerspruch zum Allgemeinwohl durchsetzen und ja, teilweise lässt sich in diesem Zusammenhang auch von „Verschwörungen“ sprechen.

Es ließe sich aber genauso gut von politischen Kampagnen sprechen und diese sind so alt wie die Menschheit selbst. Immer wenn Menschen sich in einer Gemeinschaft organisiert haben, entstanden dabei auch Machtkoalitionen. Nicht immer geschah dies im Sinne der heute formulierten und weithin anerkannten Grund- und Menschenrechte. Nun ist es aber das zweifelhafte Verdienst gerade der Truther-Szene, dass der Begriff „Verschwörung“ heutzutage kaum mehr analytisch verwenden werden kann. Ein Beispiel für einen seriösen Umgang mit dem Verschwörungs-Begriff bietet im Übrigen Julian Assange in  seinem Wikileaks-Manifest.

So könnte eine weitere Verschwörungstheorie lauten: Der berechtigte Kritikanspruch an der etablierten Medienlandschaft und den herrschenden Machtverhältnissen wird von windigen Geschäftemachern und selbsternannten Wahrheitspropheten missbraucht und damit in den Schmutz gezogen. Eine, für die politische Kultur und für den gesellschaftlichen Diskurs zunächst viel versprechende Technologie – nämlich das freie Publizieren im Internet, so genanntes Blogging – wird damit zunehmend diskreditiert.

Politische Blogs können sich zu einem erstzunehmenden, kontrollierenden Korrektiv und interessanten Gesprächspartner der etablierten Medien entwickeln. Nicht aber, wenn sie in der öffentlichen Wahrnehmung von unseriösen Desinformationsangeboten überlagert oder mit diesen gar gleichgesetzt werden.

Beispiele, dass Medienkritik und politischer Basisjournalismus auch in seriöser Form möglich ist, bieten unter anderem die NachDenkSeiten und auch le bohémien. Dass auch die etablierten Medien teils mit Glanzstücken des gesellschaftskritischen Debattenanstoßens aufwarten bewies jüngst Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung. Hagelüken warnt in seinem Kommentar zu Recht vor der Gefahr des Dogmas, sozial gerechte Umverteilung von oben nach unten sei schädlich und plädiert dafür, im großen Rahmen erneut über soziale Gerechtigkeit nachzudenken.

Auf dieser Ebene sollte sich der politisch-kritische Geist berufen fühlen an der Erarbeitung von Lösungsansätzen mitzuwirken. Hier findet der politische Journalist, der politische Blogger und der politisch interessierte Leser konkrete Ansatzpunkte für Gesellschafts- und Medienkritik. Hier macht es Sinn weiter zu fragen und weiter zu denken, als dies für gemeinhin in den Mainstreammedien der Fall ist. Ernsthafter politischer Basisjournalismus befindet sich jedoch erst in der Entstehungsphase.

Ob Blogger und deren Leser also Idioten sind? Es kommt darauf an, lautet wohl die Antwort. Soeben erreichte uns im Übrigen eine weitere Eilmeldung: Der Weltuntergang ist vorerst abgesagt.

 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei le bohémien.

Kommentare

Die Antwort eines Bloggers

Hallo, liebe “Dossier”-Macher,

ich habe an den Spiegelfechter bereits geantwortet. Aber ich denke, die Antwort gilt auch für Euch:

Lieber Spiegelfechter Jens,

da Du ja ausgewogene Wahrheitsfindung betonst und einforderst, erwarte ich von Dir demnächst auch einen Artikel darüber, dass die offizielle Verschwörungstheorie zu 9/11 eine glatte Lüge darstellt und die Geschichte des politischen Mordes an Osama bin Laden, wie wir sie präsentiert kriegen, eine unglaubliche Unverschämtheit des beweislosen Behauptens von völlig Unglaubwürdigem ist.

Dabei könntest Du auf die Tatsache eingehen, dass das FBI keine stichhaltigen Beweise hat, die einen Zusammenhang zwischen Osama bin Laden und 9/11 herstellen, und deshalb gegen ihn auch nicht in der Sache ermittelt hatte, sowie auf die Tatsache, dass sich Osama bin Laden immer für alle seine Schandtaten gerühmt hatte, eine Beteiligung an 9/11 aber bis zuletzt bestritten.

Um mit Daniele Ganser zu sprechen, die offizielle Version der Geschichte um 9/11 ist selbst eine völlig unglaubwürdige Verschwörungstheorie. Es ist die Theorie der Verschwörung von arabischstämmigen Terroristen, geführt von Osama bin Laden, die im Alleingang die Supermacht USA bezwingen, und dabei quasi aus dem Handgelenk die US-Flugsicherung aushebeln, bewaffnet mit Teppichmessern.

Und auf dieser unbewiesenen, unglaubwürdigen und nicht einmal plausiblen Verschwörungstheorie basiert der gesamte “War against Terror”, basieren all die “Sicherheitsgesetze”, basieren all die Beschneidungen der Bürgerrechte, basieren der Irakkrieg wie der Afghanistankrieg, basieren die robotisierten täglichen politischen Morde der USA, an die wir uns ja bereits gewöhnt haben.

Und die Krone dieser frechen Lügen, die völlig unbewiesenen Behauptungen von Osama bin Ladens Ermordung, hast Du bisher gar nicht kritisiert:

“Zweifel am tatsächlichen Tod Bin Ladens scheinen jedoch wenig begründet”, schreibt Markus Weber in “Ein schmaler Grat” hier im Spiegelfechter. Nun, ich würde sagen, dass Osama bin Laden kürzlich aus politischen Gründen ermordet wurde, ist überhaupt nicht belegt. Oder sind seit Neuem etwa Zeichentrickfilme und unbestätigte Behauptungen Beweise? Liegt etwa klar ein Mord vor, wenn man weder eine Leiche hat, noch irgendeinen handfesten Beweis, dass überhaupt irgend jemand zu Tode gekommen ist, ausser man betrachtet ein Foto mit betroffen blickenden Menschen als “Beweis”, die dann ihre Aussage öffentlich so korrigieren, dass sie auch nicht direkt gesehen haben, was passiert ist?

Was ist denn hier bitte mit der kritischen Reflexionsfähigkeit des Spiegelfechters passiert?

Reichen Euch in Zukunft Zeichentrickfilme, die die Regierung der USA vorspielt, und Ihr glaubt alles, was die erzählen?

Denkt mal drüber nach.

Bild des Benutzers Axel Weipert

Moment mal

Und warum meldet sich dann Bin Laden nicht einfach aus seinem »wirklichen« Versteck und führt die USA als lächerliche Lügner und Betrüger vor? Das sollte doch für einen Video-erprobten Medienstar wie ihn eine leichte Übung sein, oder? Und glaub mir: Jeder Sender der Welt würde sich um die Veröffentlichung reißen…

Zu den Folgen von 9/11 schreibst du: »Und auf die­ser un­be­wie­se­nen, un­glaub­wür­di­gen und nicht ein­mal plau­si­blen Ver­schwö­rungs­theo­rie ba­siert der ge­sam­te “War against Ter­ror”, ba­sie­ren all die “Si­cher­heits­ge­set­ze”, ba­sie­ren all die Be­schnei­dun­gen der Bür­ger­rech­te, ba­sie­ren der Irak­krieg wie der Af­gha­nis­tan­krieg, ba­sie­ren die ro­bo­ti­sier­ten täg­li­chen po­li­ti­schen Morde der USA, an die wir uns ja be­reits ge­wöhnt haben.«

Das halte ich für eine gewagte Interpretation: Man verwechsle nicht offizielle Begründung mit realer Ursache. Jedenfalls gab es viele Gründe, im Irak militärisch zu intervenieren, ebenso wie für die anderen von dir genannten Folgen. Damit will ich sie natürlich weder gut heißen noch entschuldigen. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man aus geostrategischen, wirtschaftlichen oder innenpolitischen Motiven handelt oder schlicht, weil man glaubt, so »den Terror« verhindern zu können. Ich würde dafür plädieren, der Vielschichtigkeit der Problematik gerecht zu werden. Denn alles andere ist dann nur wieder - eine Verschwörungstheorie.

Schwammiger Begriff

Tatsächlich ist die schwammige »Verschwörungstheorie« ein Kampfbegriff, der mehr vernebelt als aufklärt. Mit ihm werden rationale politische Analysen ebenso bezeichnet wie auch wirrer Eso-Kram (»Thruther«). Bezieht man sich auf rationale politische Analysen, so deckt sich der Begriff mit sog. »verdeckten Operationen«. Diese hat es gerade im Kontext des Kalten Krieges zuhauf gegeben – nur ein Teil davon ist aufgeklärt.

Dadurch kann man an der Trennung zwischen Analyse und wilden Theorien klare Unterscheidungsmerkmale anlegen. Die Unterstellung eines »inside job« mag vielleicht nicht absurd erscheinen, jedoch stört die Fixierung der Anhänger der jeweiligen Theorien auf einen Wahrheitsbegriff: Dieser absolte Wahrheitbegriff findet sich ja auch in dem Wort Truther. Sinnvoller wäre ein Vergleich mit tatsächlichen verdeckten Operationen der Vergangenheit. Daniele Ganser ist einer der wenigen, die sich hier um eine Rationalisierung des Diskurses bemüht haben.