Magazin Beitrag

Ein Spaziergang durch Rom

Warum Rom und Berlin sich so ähnlich sind
Der einzige Unterschied zu Berlin: Berge <br/>Foto von Ilari Henry
Der einzige Unterschied zu Berlin: Berge Foto von Ilari Henry

Aufgrund einer jährlichen Familienzusammenführung landete ich kürzlich auf dem Flughafen in Rom. Mein erster Eindruck: 60 Millionen Italiener sind hauptberuflich mit der Erfüllung sämtlicher Klischees über Italien beschäftigt, nebenberuflich Kellner, Anwälte, Ärzte oder eben Mafiosi. Diesen von Vorurteilen geprägten Kulturschock erlebte ich, als ich bei meinem ersten italienischen Cappuchino den Blick durch die Ankunftshalle gleiten ließ, während ich auf die Verwandtschaft warten mußte: Italien ist reich an Klischees, aber vielleicht ist eben das auch ein Klischee; gerade den Deutschen war Italien immer eine Projektionsfläche. Noch bevor ich meine erste Zigarette aufgeraucht hatte, war dieses Bild schon verblasst – auch in Italien darf im Flughafen nicht geraucht werden.

Die Taxifahrt in die Stadt zeigte mir ein Rom, wie ich mir Berlin nach dem Krieg immer vorgestellt hatte – ein Stadtzentrum voller Trümmer. Die Römer haben sich allerdings weit mehr Zeit gelassen, ihr tausendjähriges Reich zu erbauen; ironischerweise ziemlich genau tausend Jahre, was zeigt, daß Worte damals noch Bedeutung hatten. Ebenso viel Zeit ließ man sich mit dem Niedergang. Die Deutschen sind halt in solchen Fragen viel zu eilig – was wiederum mein Klischee von südländischer Gelassenheit bestätigt.

Wären die Berliner so tüchtig in der Vermarktung ihrer Ruinen gewesen wie die Römer, man hätte sich den anstrengenden Wiederaufbau sparen können und wäre zudem nicht chronisch pleite. Stattdessen wird alles weggeräumt, was irgendwie an die Vergangenheit erinnert; lieber werden die Fassaden vergangener und kunsthistorisch unbedeutender Gebäude wie die des Stadtschlosses aufgebaut. Die Römer können einen solchen Übereifer nicht verstehen, sondern leben gut von den Ruinen ihrer Vorfahren. Und das, obwohl es sich um einen offenkundigen Unrechtsstaats handelte: Kreuzigungen von Sklaven entlang der Via Appia widersprechen nämlich allen Menschenrechtskonventionen. Und die ständige Kriegszüge wurden auch noch nicht als »Humanitäre Interventionen« verkauft. Fairerweise muß erwähnt werden, daß auch die Römern schon den gerechten Krieg (bellum iustum) kannten. Zudem war die Eroberung des Weltreichs laut einigen Historikern lediglich eine Vorwärtsverteidigung – Sender Gleiwitz läßt grüßen.

Wer Rom besucht, muß eine strategische Entscheidung treffen: Die Kunstschätze dieser Stadt und die Reste des alten Roms bewundern oder – Urlaub machen. Rom hat einfach zu viele Sehenswüdigkeiten. Daher habe ich mich für letzteres entschieden. Um jedoch vor meinen kunstbeflissenen Freunden nicht als völliger Versager dazustehen, habe ich das Forum Romanum besucht. Für das römische Modell der Wohlstandsmehrung mußte ich prompt 12 Euro Tribut entrichten. Um mir Ruinen anzusehen, die sie vorher verfallen ließen. Da ich mich nicht wirklich mit den alten Römern auskenne und auch keinen Führer dabei hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als die Bauweise der Römer zu erforschen. Man maure mit bestem Ziegel eine Art Kamin und werfe Zement mit billigen Steinen vermischt rein: Industriell und effektiv – außer dem Mamorzeugs ist fast alles derart hochgezogen, was aus der spätrömischen Zeit kommt. Erinnert auch an die öde Bauweise Berlins im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Wer das Prinzip verstanden hat und sich das Dekor dazudenkt, dem ist es möglich, sich das alte Rom vorzustellen. Dafür muß aber eine ungleich schwerere Aufgabe erfüllt werden: Sich die Heerscharen von touristischem Fußvolk wegdenken. Wer das eine schafft – das Wegdenken ist eine reine Freude – dem sind die Pforten zum alten Rom geöffnet. Am Rande: Das beeindruckenste Gebäude des Forum Romanum ist, wenig beachtet, die Maxentiusbasilika. Selbst die Reste sind aufgrund ihrer Ausmaße beeindruckend. Mit ein wenig Phantasie ist seine ursprüngliche Gestalt vorstellbar – dann braucht man sich auch nicht die billige Kopie, den Petersdom, anzuschauen. Der römische Kaiser Maxentius hat die Fertigstellung nicht mehr erlebt. Diese tragische Figur wurde vom ersten christlichen Kaiser Konstantin in der Schlacht vor Rom geschlagen und in den Tiber geworfen, weil er so dumm war in die offene Schlacht zu ziehen, anstatt gelassen in Rom zu warten während Konstatin – Hannibal gleich – unruhig um die Stadt zöge. Die Päpste und ihre Kreuzzüge wären uns erspart geblieben – worüber würden wir uns wohl in Berlin dann heute echauffieren?

Die Römer bezahlen für ihr Geschäftsmodell einen hohen Preis: Die gesamte Innenstadt ist von Touristen, bevorzugt Jugendgruppen, belagert. Ich gewann den Eindruck, man könne ihnen alles mögliche zeigen, wenn nur der Eindruck des Alten und Besonderen gewahrt bleibt. Vielleicht komme ich nochmal darauf zurück, wenn mir die antike Vorgeschichte von Mahrzahn wieder einfällt und die Platten verfallen anstatt abgerissen zu werden. Abseits der Haupttouristenrouten – immerhin die halbe Stadt – ist es erstaunlich ruhig. In den Außenbezirken finden sich auch einige nette Ecken, wo die echten Römer ausgehen; ohne irgendwelche Römeruniformen zu tragen, wie am Colosseum, wo man sich für Bimbes mit semiauthentischen römischen Soldaten ablichten kann. Hier zumindest hat Berlin von Rom gelernt: Vom Tragen alter Uniformen leben auch Menschen am Checkpoint Charlie.

Um diesem Karneval zu entfliehen, plante ich eine Wanderung in den Bergen weit von Rom: Stadtflucht im Urlaub. Leider hatte ich keine Wanderkarte; daher schaute ich mir die Satellitenbilder einer großen Suchmaschine an, und malte daraus eine Wanderkarte. So verschlug es mich zu einem Bahnhof mitten in der Pampa, über eine Stunde Fahrt von Rom, von dem ich den Aufstieg nach Saracinesco wagte. Irgendwie war ich fasziniert von diesem Ort, der in fast 1000 Meter Höhe auf einen Berg gebaut ist: Dies erschien mir als ziemlich unsinnig. In knapp zwei Stunden hatte ich die Feste bezwungen. Auf dem Weg liegen eigentümliche Häuschen von fragwürdiger Konstruktion und Rechtsstatus, welche in Ostdeutschland vermutlich Datschen genannt würden. Der Ausblick ist beeindruckend; vielleicht der einzige Ort von dem man – zumindest theoretisch – sowohl Rom als auch schneebedeckte Berge sehen kann – und keinen einzigen Touristen, sofern man nicht in den Spiegel schaut.

Beeindruckender als der Ausblick und das pittoreske Örtchen war allerdings das dortige Restaurant, oder, genauer, der Hase und der Wein. Gleich zwei der Einheimischen sprachen, in der italienischen Provinz nicht unbedingt üblich, in der Gaststätte englisch. Dadurch erfuhr ich, nachdem ich beim Essen Hans Leyendeckers Buch »Die grosse Gier« verschlang, die erstaunliche Geschichte der Bergfeste. Denn Sarazenen aus Nordafrika, Piraten, sollen sich hier im Jahre des Herrn 916 zurückgezogen haben, bevor die Benediktiner das Ruder übernahmen. Auf die Tradition dieser »ethnischen Insel« deuten auch die im Ort verbreiteten Namen Almansor, Morgante und Margutta, den auch einer meiner sympathischen Gesprächspartner trug. Die genauere Geschichte liest sich in einem Prospekt, den ich in der Gaststätte aufgesammelt habe. Leider spreche ich kein italienisch. Und lesen kann ich es nur ein bißchen. Leicht beschwipst setzte ich meine Wanderung durch die Berge fort.