Presseschau Beitrag

Film ohne historisches Gewissen

Oskar Roehlers Film »Jud Süß – Film ohne Gewissen« als eine weitere Episode der Vergangenheitsüberwältigung im deutschen Kino

Der Tagesspiegel kritisiert den laxen Umgang mit »geschichtlichen Tatsachen« in Oskar Roehlers Film »Jud Süß – Film ohne Gewissen«, der am vergangenen Donnerstag auf der Berlinale uraufgeführt wurde.

Denn auf solchen, so heißt es im Vorspann, würden die »im Film geschilderten Ereignisse beruhen«. Der Autor des Tagesspiegels, Jan Schulz-Ojala, interessiert sich dabei nicht so sehr dafür, dass sondern »wie« von besagten Tatsachen »abgewichen wird und warum.«

So sei etwa der Hauptdarsteller in Veit Harlans Propagandafilm »Jud Süß« (1940), Ferdinand Marian, nicht aufgrund einer halb jüdischen Ehefrau erpressbar gewesen, wie durch Roehler »geschildert«. Marians Frau war Katholikin. Zu schließen bleibt:

Roehlers „Film ohne Gewissen“ reiht sich nahtlos in jenes neuere deutschen Exkulpationskino ein, das die durchaus aktiven Mitmacher deutsch-diktatorischer Systeme letztlich als arme Schweine darstellt (…). Bei Roehler wiederum darf sich Marian auch aus Verzweiflung darüber, dass seine Frau vergast worden ist, zu Tode saufen. (…) Tatsächlich hat Ferdinand Marian, was Roehler auslässt, nach „Jud Süß“ unter den Nazis noch ordentlich Karriere gemacht. Elf Filme drehte er bis 1945, bevor er 1946 bei einem Autounfall starb. Sein Entnazifizierungsverfahren war damals auf dem allerbesten Wege.

»Jud Süß – Film ohne Gewissen« ist in dieser Hinsicht längst nicht mehr originell, aber er dürfte weiterhin als symptomatisch gelten: als Angebot, das sich einer Nachfrage anschmiegt – als symptomatisch also für den heute weithin spürbaren deutschen Wunsch, Opfer gewesen zu sein.