Presseschau Beitrag

Die Bombe mit Fragezeichen

Der Druck, das Verfahren zum Oktoberfest-Attentat wiederaufzunehmen, nimmt zum 30. Jahrestag zu
Die Bombe mit Fragezeichen
Bild von gnislew

Heute jährt sich das Attentat auf dem Münchner Oktoberfest zum dreißigsten Male. Offensichtlich an der Tat beteiligt war der Student Gundolf Köhler, der von der Bombe im Papierkorb zerrissen wurde. Doch obwohl Köhler in zahlreichen rechtsradikalen Gruppen präsent und an Wehrsportübungen beteiligt war, legten sich die Ermittlungsbehörden auf Köhler als Einzeltäter fest. Vielmehr sabotierte der bayrische Verfassungsschutzpräsident und vormalige BND-Mann Hans Georg Langemann die Ermittlungen, indem er deren Stand detailliert an die Presse gab, wodurch mögliche Mittäter gewarnt wurden.

Heute kann keine Rede davon sein, daß die Staatsanwaltschaft alle Spuren ausreichend ermittelt hat: Starke Zweifel gibt es an der Fähigkeit Köhlers, die verheerende Bombe zu bauen, unklar bleibt die Herkunft des Sprengstoffs TNT. Durch neue Methoden wie DNA-Analyse könnten neue Erkenntnisse gewonnen werden; auch wenn der Generalbundesanwalt eine Wiederaufnahme wiederholt ablehnte, wächst der Druck in den Medien und der Politik. Anstelle der Ermittlungsbehörden haben einige wenige unverzagte Journalisten wie Ulrich Chaussy und Tobias von Heymann alle Spuren verfolgt, auf deren Beiträge wir bereits verwiesen; sie haben in zahlreichen Archiven, u.a. bei der Stasi, neue Erkenntnisse gesammelt. Claudia Wangerin hat in der jungen Welt den Stand präzise zusammengefasst, die Zeitung hat zudem Tobias von Heymann interviewt. Ein umfangreiches Dossier bietet auch der Bayrische Rundfunk und sprach mit Ulrich Chaussy.

Die Frage nach weiteren Tätern ist in vielerlei Hinsicht brisant. Denn die Frage steht im Raum, ob rechtsradikale Netze in der Bundesrepublik von staatlichen Stellen gedeckt und gelenkt wurden, wie dies in zahlreichen NATO-Staaten im Kalten Krieg aufgedeckt worden ist. Unter dem Namen Gladio verübten Rechtsradikale – von Nachrichtendiensten angestiftet – in Italien, Belgien und der Türkei Anschläge, um in der Bevölkerung Stimmung für einen starken Staat zu machen, Sicherheitsgesetze zu legitimieren und Staatsstreiche vorzubereiten. Auch in der Bundesrepublik wurde in den 50er Jahren ein solches Netz aufgedeckt, welches Todeslisten u.a. von SPD-Politikern besaß. Dieser Zusammenhang geriet jedoch in Vergessenheit. Der Verdacht, daß auch das Oktoberfest-Attentat in diesem Kontext steht, wird durch den mangelnden Willen zur Aufklärung durch die Ermittlungsbehörden bestärkt. Eine Aufklärung wird zudem erschwert, da das komplexe Netzwerk zahlreicher rechter Gruppen in der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre aufgedeckt werden müsste.

In diesem Zusammenhang wäre beispielsweise eine mögliche Verbindung zwischen dem in der europäischen Nachrichtendienstszene bestens vernetzten Langemann und dem Sprengstoffexperten und Rechtsradikalen Peter Naumann interessant. Sofern die Bombe tatsächlich im Zusammenhang mit Gladio steht, hat deren versehentliche frühzeitige Zündung die Bundesrepublik vor weiteren Anschlägen verschont.

Die Aufklärung der Aktivitäten der Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges hat das Potential, an einigen entscheidenden Punkten zu grundsätzlich neuen Erkenntnissen zu führen. Dies zeigen die ungeklärten Fälle des Oktoberfest-Attentates, der Verfassungsschutzagenten Peter Urbach und Volker Weingraber, sowie dem Mord an Ulrich Schmücker. Die Frage, inwieweit über Informationsabschöpfung hinaus linke und rechte Gruppierungen unterwandert und gelenkt wurden, bleibt offen; der Skandal um das NPD-Verbotsverfahren hat gezeigt, daß es sich dabei keineswegs lediglich um eine historische Fragestellung handelt. Neue Erkenntnisse werden den Druck erhöhen, die weißen Flecken von den Karten der Forschung zu tilgen. Auf der anderen Seite steht das hohe Alter wichtiger Zeitzeugen.

Nachtrag

Ulrich Chaussy hat sein Radiofeature von letzem Jahr überarbeitet, welches vom Bayrischen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Der Beitrag gibt die Stimmen von Zeugen wieder, welche die Einzeltäter-Hypothese weitgehend erschüttern und die Seriösität der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft in Frage stellen.