Presseschau Beitrag

Schneller Erfolg, langfristiges Scheitern

Eine Reportage aus Kandahar legt das endgültige Scheitern der westlichen Strategie in Afghanistan nahe
Nangarhar provincial reconstruction team <br/>Foto von U.S. Army
Nangarhar provincial reconstruction team Foto von U.S. Army

Die Auseinandersetzung um die Zukunft Afghanistans geht diesen Sommer mit einer großangelegten Offensive in eine entscheidene Phase. Wenn das amerikanische Militär um die Zustimmung der Bevölkerung kämpft, ist dieser Kampf bereits verloren. Dies ist zumindest der Eindruck, den Stephen Grey in einer Reportage aus Kandahar in der Le Monde dipomatique erzeugt.

»Kandahar ist in den Händen von Leuten, die Drogenhandel betreiben, die Waffen haben und vom Ausland unterstützt werden,« so eine lokale Stimme. Die Taliban seien teils auch als
Abwehr gegen korrupte Eliten und Warlords entstanden, die schon mit den sowjetischen Besatzern kooperierten, und genießen daher Rückhalt in der Bevölkerung. Auch die Bewaffnung von Milizen (LDI, locale defense intiative) führe zu Übergriffen, die Teile der Bevölkerung gegen die Ausländer aufbringe.

Kandahar werde von solchen Milizen beherrscht. Journalisten, die Verbindungen zwischen diesen kriminellen Netzwerken und dem amerikanschen Militär untersuchten, wurden ermordet. Indes ist der führende US-General Stanley McChrystal bei seiner eigenen Truppe aufgrund seiner  defensiven Strategie nicht beliebt. In Wirklichkeit sei das Konzept der Aufstandsbekämpfung (Counterinsurgency) aber ein Rückgriff auf postkoloniale Kriegskonzepte: 

Was viele nicht verstanden haben, ist, dass die Umstellung von konventioneller »feindkonzentrierter« Kriegsführung auf eine »bevölkerungskonzentrierte« Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency) läuft keineswegs, wie es meistens gesehen wird, auf eine »Seid nett zu den Leuten«-Taktik hinaus. Die Doktrin der Counterinsurgency, die von den Erfahrungen in Malaysia, Vietnam, Oman und Zentralamerika gespeist ist, setzt nicht nur auf Gesten und Aktionen, mit denen man die Herzen der Einheimischen gewinnen will. Counterinsurgency bedeutet auch drakonische Sicherheitsmaßnahmen, um abweichende Meinungen zu kontrollieren und Kontakte zwischen der Bevölkerung und den Aufständischen zu unterbinden. Sie bedeutet massenhafte Vertreibung. Sie bedeutet Milizen und Todesschwadronen.

Insofern teilt Grey die Interpreation Marc Thörners, der in der Strategie der Amerikaner eine Kontinuität seit dem Algerienkrieg der Franzosen erkennt: Schon damals seien vergleichbare Konzepte gescheitert. Wie vieles in diesem Bürgerkrieg, bleibt unklar, ob Washington, McCrystal und das Counterinsurgency-Konzept die gleiche und somit einheitliche Strategie verfolgen. Offenbar gelingt es den Amerikanern – auch aufgrund innerer Widersprüche – nicht, eine Politik zu verfolgen, die ausgleichend auf die inneren Widersprüche des Landes wirkt.

Dieser Beitrag verdeutlicht, daß die Amerikaner mit der Karsai-Regierung sowie der Kooperation mit Warlords von Anfang an auf das falsche Pferd gesetzt haben: Eine Sackgasse, aus der die westliche Allianz nicht mehr herauskommt. Der schnelle Erfolg in Afghanistan 2001 wäre somit der Grundstein für das langfristige Scheitern gewesen:

Genau das ist der Haken bei der großen Strategie. Denn Ahmed Wali Karsai ist nicht das Problem, er ist nicht der einzige Lokalfürst. Er ist nur ein Symptom. Das Problem ist, dass der Westen nach jahrelangem militärischen Engagement noch immer keine brauchbare politische Strategie entwickelt hat für den Umgang mit den Warlords und den korrupten Elementen, die von der Isaf-Führung zu Recht als Hauptproblem identifiziert werden.