Magazin Beitrag

Gescheiterte Kritik

Mit Keynes gegen den Strom?
Gescheiterte Kritik

Der Ökonom Heiner Flassbeck hat sich kritisch mit der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik der letzten Jahre auseinandergesetzt und zu diesem Thema ein Buch geschrieben: „Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“. Nach einem kurzen Intermezzo 1998/99 als Staatssekretär des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine ist er heute als Chefvolkswirt der UNCTAD in Genf tätig. Immer wieder tritt er aber auch durch Artikel zu wirtschaftlichen Fragen an die Öffentlichkeit. Dabei vertritt er einen nachfrageorientierten Ansatz mit engen Bezügen zu Keynes.

Auch in seinem neuesten Buch betont er die Wichtigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise, die er dem in Politik und Medien aktuell dominierenden, am einzelnen Unternehmer ausgerichteten Neoliberalismus gegenüberstellt. Und in der Tat kann so manches besser erklärt werden, wie an zahlreichen Beispielen deutlich gemacht wird. Die grundlegende Stoßrichtung des Autors bezieht sich auf die Politik der letzten 30 Jahre, insbesondere aber auf die „Agenda 2010“ Gerhard Schröders. Seine Kritik verbindet er mit der vorsichtigen Hoffnung, die aktuelle Finanzkrise könnte zu einem Umdenken führen (Seite 15).

Immer wieder weist Flassbeck auf das Ungleichgewicht zwischen dem dynamischem Export und der stagnierenden Binnennachfrage in Deutschland hin und sieht in letzterem die eigentliche Ursache der hohen Arbeitslosigkeit und des schwachen Wachstums. Folgerichtig fordert er eine großzügigere Lohnentwicklung, die sich idealerweise am Produktivitätsfortschritt (plus Inflation) orientieren müsse (196).

Während der Wiedervereinigung seien grundlegende Fehler gemacht worden, insbesondere in Bezug auf die Löhne; eine langsamere Angleichung an den Westen oder umfangreichere Subventionen hätten die katastrophale Entwicklung verhindern können (50). Dabei wird aber der Art und Weise der Privatisierung durch die Treuhandanstalt – hier liegt meines Erachtens der eigentliche Skandal – nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Auch der Euro war von Anfang an falsch konzipiert. Denn eine einseitige Ausrichtung auf Stabilität habe die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Teilnehmerländer nicht berücksichtigt (67). Da nun aber Anpassungen der Währungen nicht mehr möglich waren, erhöhte sich der Druck auf die südlichen Länder - mit fatalen Folgen, wie man heute in Griechenland sehen kann.

Eine weitere Fehleinschätzung der vorherrschenden ökonomischen Lehre sieht Flassbeck in Bezug auf die Globalisierung. Denn diese habe keineswegs zusätzliche Belastungen und damit den allseits konstatierten „Reformdruck“ erzeugt. Genau das Gegenteil sei der Fall: Deutschland habe wie kaum ein anderes Land von der Ausweitung des internationalen Handels profitiert und mit seiner enormen Wettbewerbsfähigkeit andere niederkonkurriert. Als Folge davon stiegen deren Handelsbilanzdefizite und damit auch die Verschuldung (101, 110). Langfristig sei damit aber für keine Seite Erfolg möglich.

Der Glaube an die Unfehlbarkeit des Marktes und im Gefolge dessen seine Ausweitung auf immer weitere gesellschaftliche Bereiche ist fatal und geradezu kontraproduktiv. Dies wird besonders deutlich bei der teilweisen Umstellung des Rentensystems auf private Vorsorge, denn diese kann keineswegs die Probleme einer alternden Bevölkerung lösen. Möglich ist dies nur durch stetes Wachstum und damit Investitionen in produktive Bereiche der Wirtschaft. Ein gesamtwirtschaftliches Ansparen für die Zukunft könne nicht funktionieren. Immer müsse es als Ergänzung zu den Sparern Schuldner geben, die Investitionen zu tätigen bereit sind (177). Auch die Währungsspekulation zeige die Unzuverlässigkeit des Marktes, schaffe Instabilität und Ungleichgewichte im internationalen Maßstab. Deshalb sei deren massive Regulierung unumgänglich (142f).


Zugute zu halten ist dem Autor, dass er auch komplizierte Sachverhalte klar und einfach darstellen kann. Allerdings hätte es der Glaubwürdigkeit gut getan, auf die allzu häufige Polemik zu verzichten. Ärgerlicher noch ist aber das geradezu penetrante Eigenlob und die Tatsache, dass Flassbeck zur Stützung seiner Thesen vornehmlich seine eigenen Texte zitiert. Überhaupt wendet sich das Buch eher an interessierte Laien denn an ein Fachpublikum. Das ist auch keineswegs verwerflich, dennoch hätte man sich an manchen Stellen mehr Fakten und Belege gewünscht.

Etwas störend wirken kleinere Widersprüche in der Argumentation, etwa wenn einerseits eine Regulierung der Managergehälter gefordert wird (143), einige Seiten später aber der Autor konstatiert, gegen deren freie Festlegung durch die Eigentümer sei „nichts zu sagen“ (151). Deutlich zu kurz kommen die vorgeschlagenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Zwar finden sich allerorten entsprechende Hinweise, aber die Zusammenfassung am Schluss beschränkt sich auf eine kurze und nicht weiter begründete Aufzählung (250).

Das eigentliche Problem liegt aber im Ansatz Flassbecks begründet. Denn erklärtermaßen geht er davon aus, eine Wirtschaftspolitik in seinem Sinne würde allen Beteiligten zugute kommen – auch jenen wie Josef Ackermann und anderen Spitzenmanagern (260). Daran zeigt sich zweierlei. Zum einen werden hier auf etwas populistisch anmutende Weise die Profiteure des Kapitalismus ohne weiteres in eins gesetzt mit den medial präsenten leitenden Angestellten der Großunternehmen. Das ist aber eine allzu bequeme Personalisierung. Und sie geht auch am Kern des Ganzen vorbei. Denn es ist ja keineswegs so, dass das neoliberale Denken und Handeln lediglich auf einem ungenügenden Verständnis von Wirtschaft beruht, dem mit entsprechender Aufklärung abzuhelfen wäre. Hier geht es vielmehr um eindeutig identifizierbare Interessen. Und damit in letzter Instanz nicht um mehr oder weniger akademische Fragen der „richtigen“ Politik, sondern um die Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Insofern ist der Untertitel des Buches schlicht irreführend: „Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“. Diese Frage wird nämlich nicht beantwortet, oder, treffender noch: Sie wird erst gar nicht gestellt.