Magazin Beitrag

Der Fall Prokon

Es ist an der Zeit, den grauen Markt für Finanzprodukte endlich abzuschaffen

Die drohende Insolvenz des Windparkbetreibers Prokon erhitzt die Gemüter. Mit Prokon droht einem Unternehmen, das seit mehreren Jahren auf den Warnlisten der Verbraucherschützer steht, nun die Pleite. Es drängt sich dabei der Verdacht auf, dass das Geschäftsmodell von Prokon in frappierender Weise einem klassischen Schneeballsystem gleicht. Derart dubiose Finanzprodukte geben sich auf dem unregulierten Markt für Finanzprodukte, dem sogenannten „grauen Markt“, ein Stelldichein. Der letzte Versuch, den grauen Markt stärker zu regulieren, scheiterte im Jahre 2010 an der Blockade der FDP. Nach dem Regierungswechsel spräche eigentlich nichts dagegen, die bereits 2010 vom Finanzministerium geplanten Gesetze zur Regulierung des grauen Finanzmarktes nun umzusetzen. Warum geschieht dies nicht?

Wieder einmal raubt eine drohende Insolvenz zehntausenden gutgläubigen Anlegern den Schlaf. Wieder einmal zeigt sich, dass exorbitant hohe Zinsversprechen, die an exotische Finanzprodukte geknüpft sind, das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. So gesehen wäre der Fall Prokon ein Fall von vielen. Doch der Fall Prokon ist dennoch etwas besonderes: Prokons Zielgruppe waren offenbar vor allem ansonsten sehr kritische Verbraucher, die den Banken nicht mehr über den Weg trauten. Vor allem im Sog der Finanzkrise konnte Prokon mit einer Art „Anti-Establishment-Marketing“ zahlreiche Kunden für sich gewinnen. Damals wie heute gehörte die scharfe Kritik an den „Banken und Großkonzernen“ zur Vermarktungsstrategie von Prokon. Es ging ja schließlich auch um ein löbliches und gesellschaftlich sinnvolles Projekt – die Energiewende. Auch heute sieht sich Prokon nicht als Täter, sondern als Opfer. Die kritischen Berichte der Medien werden von den Verantwortlichen als „Kampagne“ gedeutet. Welch´ bittere Ironie.

Das Geschäftsmodell von Prokon war spätestens seit 2007 – formulieren wir es vorsichtig, um juristisch nicht angreifbar zu sein – fragwürdig. 96% des Kapitals von Prokon stammen aus sogenannten Genussrechten, die der Konzern mittels einer sehr groß angelegten Marketingkampagne von 75.000 Anlegern eingesammelt hat. Dabei dürften wohl nur die wenigsten Anleger überhaupt verstanden haben, was Genussrechte überhaupt sind. Bei Genussrechten handelt es sich um eine Art Mischung aus Anleihe und Aktie, die vor allem die negativen Eigenschaften beider Instrumente bündelt. Wer Genussrechte hält, hat sich „still“ am Unternehmen beteiligt und verzichtet – anders als bei der Aktie – auf jegliche Mitsprache. Anders als Anleihen und Kredite werden Kapitalbeteiligungen über Genussrechte grundsätzlich nachrangig behandelt. Geht ein Unternehmen in die Insolvenz, werden also zunächst sämtliche offenen Forderungen aus der Insolvenzmasse bezahlt und das Geld was ggf. übrig bleibt, dürfen sich dann die Besitzer der Genussrechte teilen. Das Risiko eines Totalverlusts ist bei Genussrechten also stets gegeben. Genussrechte sind somit ein hoch riskantes Produkt, das vergleichsweise selten eingesetzt wird und an das aufgrund des hohen Risikos meist auch hohe Zinsversprechen gebunden sind. In der Regel greifen Unternehmen zu diesem Instrument, wenn sie keine Chance haben, an reguläre Kredite zu kommen.

So gesehen, sind die sechs bis acht Prozent „Garantiezins“, die von Prokon angeboten wurden, keinesfalls ungewöhnlich hoch. Andere Formen von Risikokapital sind bedeutend teurer. Bei anderen Formen des Risikokapitals weiß der Anleger jedoch auch, auf was er sich da einlässt. Wenn ein Unternehmen wie Prokon sich nahezu ausschließlich über Risikokapital finanziert, müsste man sich als Anleger die Frage stellen, ob das Unternehmen wirklich so solide ist, um auf 96% des eingesetzten Kapitals bis zu acht Prozent Zinsen bezahlen zu können. Offenbar war Prokon keinesfalls so solide und veröffentlichte zudem seine Geschäftszahlen – wenn überhaupt – nur verspätet und ungenau. Die große Stärke des Unternehmens scheint vielmehr die Akquise neuer Investoren gewesen zu sein. Da drängt sich natürlich der Verdacht auf, dass Prokon ein klassisches Schneeballsystem betreibt, bei dem die Zinsen der „alten“ Investoren mit dem eingesetzten Kapital der „neuen“ Investoren bezahlt werden. Neu ist dieser Verdacht freilich nicht. Bereits im Jahre 2010 zitierte die taz in einem auch ansonsten sehr lesenswerten Artikel einen Prokon-Insider mit dem Satz:

“Prokon betreibt ein Schneeballsystem, das in wenigen Jahren komplett crashen und zu einem der größten Skandale der deutschen Windbranche werden könnte.”

Die taz ist mit ihren Warnungen kein Einzelfall. Bereits seit 2010 warnte auch die Stiftung Warentest vor dem Finanzierungsmodell der Firma Prokon. Ein Jahr später wurde Prokon schließlich gerichtlich untersagt, ihr Finanzierungsmodell als „sicher“ zu bewerben, ohne dabei auf die Risiken hinzuweisen. Zuvor hatte Prokon die Genussrechte in Marketingveranstaltungen als „grünes Sparbuch“ mit acht Prozent Zinsen beworben, als „rundum sichere Sache“, als „Alternative zur Sparanlage, Ausbildungsversicherung und Riestervorsorge“.

Nun wäre es freilich einfach, den leichtgläubigen und uninformierten Investoren Vorhaltungen zu machen. Natürlich sollte bekannt sein, dass ein hoher Zins immer(!) mit einem hohen Risiko einhergeht. Wären Unternehmen á la Prokon wirklich solide, könnten sie sich Eigen- oder Fremdkapital nämlich wesentlich günstiger besorgen. Warum sollte ein Unternehmen auch freiwillig acht Prozent zahlen, wenn es das nötige Kapital auch für vier Prozent bekäme?

Eine „Anlegerschelte“ würde jedoch zu kurz greifen. Der Staat hat nun einmal die Pflicht, auch leichtgläubige und uninformierte Anleger zu schützen. Bei dubiosen Anbietern, die sich über Finanzinstrumente wie Genussrechte oder geschlossene Fonds finanzieren, sind ihm da jedoch beide Hände gebunden. Leicht zugespitzt könnte man sagen, dass Finanzprodukte, die über den grauen Markt vertrieben werden, schlechter kontrolliert werden als jeder Döner. Das heißt auch, dass ein Unternehmen wie Prokon, das 1,3 Mrd. Euro Anlegergelder über riskante Finanzprodukte eingesammelt hat, momentan nicht schärfer reguliert wird, als jede kleine Imbissbude.

Dabei wäre es sehr einfach, hier Abhilfe zu schaffen. Der Gesetzgeber müsste nur dafür sorgen, dass der Vertrieb von Finanzprodukten generell und ausnahmslos unter das Kreditwesengesetz gestellt wird und damit unter die Kontrollpflicht der BaFin fällt. Genau dies hatte das Bundesfinanzministerium bereits 2010 gefordert. Die geplante Gesetzesnovelle scheiterte jedoch am Veto des damals FDP-geführten Wirtschaftsministeriums. Die FDP ist erst einmal Geschichte und es ist anzunehmen, dass Sigmar Gabriel als neuer Wirtschaftsminister kein Veto einlegen wird. Worauf warten die Großkoalitionäre? Ist der Fall Prokon nicht eine Steilvorlage, um ein längst überfälliges Gesetz jetzt endlich zu verabschieden?