Magazin Beitrag

Gegen Mubarak - und wofür?

Das Ziel der Proteste in Ägypten
Auf dem Platz der Befreiung <br/>Foto von Mahmoud Saber
Auf dem Platz der Befreiung Foto von Mahmoud Saber

Seit zwei Wochen stehen sie täglich auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo und fordern das Ende des Mubarak-Regimes. Aber was wollen die aufgebrachten Demonstranten stattdessen? Viel wird dieser Tage berichtet über die demokratische Bewegung in Arabien und speziell im bevölkerungsreichsten Land der Region, Ägypten. Dennoch weiß man wenig über die Akteure und ihre Ziele. Eine Spurensuche.

Klar ist vor allem eines: Ägypten ist ein Land, in dem Regimewechsel selten ruhig und unblutig verlaufen. Und auch Mubarak überlebte bereits zwei Attentate nur knapp. Dieses Mal wird er sich aber kaum gegen den geballten Volkszorn halten können. Denn trotz der zunehmenden Repression gegen Demonstranten und Journalisten ebben die Proteste nicht ab.

Doch die Opposition hat ein Problem. Denn abgesehen von ihrer Ablehnung des alten Regimes kann sie sich kaum auf ein gemeinsames Programm einigen. Geschweige denn auf eine Führungsfigur. Zwar gilt vielen Mohamed El Baradei als kommender Mann. Doch er hat die Proteste weder initiiert noch scheint er willens, langfristig an die Macht zu kommen. Stattdessen geht es ihm eher darum, mit Hilfe einer Übergangsregierung einen möglichst glatten Machtwechsel herbeizuführen - mit dem Ziel freier Wahlen in absehbarer Zeit. Zudem könnten auch die politischen Häftlinge freikommen und eine Verfassungsreform in Angriff genommen werden. Das würde aber letztlich nicht mehr bedeuten als ein definitives Ende von Mubaraks 30-jähriger Herrschaft. Ein klares, positives Programm für einen Neuanfang ist es noch nicht.

Mögliche Ansatzpunkte gibt es viele: So ist die Wirtschaft marode, es fehlt vor allem eine solide industrielle Basis. Denn kein Land kann über 80 Millionen Menschen nur durch Tourismus ernähren. Auch die demografische Entwicklung stellt das Land vor eine große Herausforderung: 12,5 Millionen junge Männer zwischen 15 und 29 Jahren sorgen sich bei einer Jugendarbeitslosigkeit von ca. 40 Prozent um Arbeit und Auskommen. Entsprechend kann es nicht verwundern, dass gerade sie das Gros der Demonstranten stellen.

Die etablierten Parteien jenseits der regierenden NDP sind kaum in der Lage, der Bewegung ihren Stempel aufzudrücken. Selbst die mächtige und seit 1954 illegale Muslimbruderschaft ist nur ein Akteur von vielen, auch wenn ihre Mitglieder sehr aktiv sind. Doch die Basis sieht die beginnenden Verhandlungen mit der Regierung sehr kritisch und ist kaum bereit, sich in eine eventuelle Übergangsregierung einbinden zu lassen. Insgesamt ist die Muslimbruderschaft schwer einzuschätzen; zwar hat sie sich in der Vergangenheit im Parlament stets kritisch mit der Regierung auseinandergesetzt und dürfte insgesamt heute deutlich gemäßigter sein als in früheren Jahrzehnten. Doch die Ziele der Führung sind wenig transparent, auch wenn man sich von allzu radikal-islamistischen Parolen entschieden distanziert.

Der eigentliche Träger der Proteste indes sind zahlreiche informelle, spontan agierende Netzwerke wie etwa die „Jugendbewegung 6. April“. Auch ohne Mobilfunk und Internet – beides funktioniert kaum noch – werden die Demonstrationen und andere Aktionen durch Mund-zu-Mund-Propaganda organisiert. Selbst die Regelung des Verkehrs und andere, eigentlich staatliche Aufgaben werden so gelöst. Man könnte auch sagen: wenn der Staat kollabiert, füllen die Menschen selbst das Vakuum. Man darf gespannt sein, ob und wie diese überaus wertvollen neuen Erfahrungen zukünftig eine Rolle spielen werden. Gerade in einem Land wie Ägypten, das traditionell von sehr autoritären Regimes beherrscht wird.

Es muss sich allerdings bald zeigen, inwiefern diese Netzwerke in der Lage sein werden, mehrheitsfähige Ziele zu formulieren. Zwar ist der Mangel an festen zentralisierten Strukturen ein großer Vorteil, wenn es um schnelle Mobilisierung geht. Gerade auch im Kampf gegen ein repressives Regime, dessen Geheimdienste in der Vergangenheit wenig zimperlich mit Oppositionellen umgingen. Andererseits werden so aber auch ideologische Differenzen und unterschiedliche Ziele verschleiert. Vieles wird also von einer raschen Einigung auf zumindest einige politische Grundsätze ankommen. Andernfalls drohen die Proteste zu versanden. Und dann wird nur ein autoritäres, korruptes Regime durch ein anderes abgelöst werden.

Das freilich könnte dem Westen offenbar nur Recht sein, ist man doch mit Mubarak jahrzehntelang prächtig ausgekommen. Damit erklärt sich wohl auch die mehr als verhaltene Unterstützung für die ägyptische Demokratiebewegung. Was für ein Armutszeugnis für die selbsternannten Hüter von Freiheit und Menschenrechten!

Kommentare

mehr als verhaltene Unterstützung

ahh, da ist es wieder dieses Foto

Sie hätten einen auch vorher davor warnen können auf diesen link zu klicken.

So in der Art: wenn Sie sich noch einen Rest an Illusionen über unsere first ladies bewahren möchten, bitte nicht anklicken.

live ticker zu den Ereignissen in Ägypten

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hier:

http://www.radio-utopie.de/2011/02/07/agypten-ticker-volksaufstand-tag-14/

Geschweige denn auf eine Führungsfigur

Warum braucht es eine »Führungsfigur«? Oder gar einen »politischen Führer«, wie ihn auch die Süddeutsche in mehreren Artikeln vermisst. Braucht man ihn, um die »entfesselten Massen« wieder ordentlich hinter ihm zu vereinen?
Gruselige Vorstellung.

Bild des Benutzers Axel Weipert

Vor- und Nachteile

Ich stimme zu: natürlich braucht es nicht notwenig einen »starken Mann« oder dergleichen. Aber er/sie könnte die zersplitterte Opposition einen. Und das wäre momentan sicher ein wichtiger Vorteil. Andererseits macht sich die Bewegung dann auch abhängig von eben dieser Person, es drohen neue autoritäre Strukturen oder Klientelwirtschaft. Wie man sieht, gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort…

Führungsfigur

Gerade in Bezug auf die Artikel in der SZ kam mir heute der Gedanke, dass das Vermissen einer Führungsfigur evtl. auch einen Aspekt eines eurozentristischen Journalismus darstellt: man traut den »Arabern« nicht zu, dass sie eine vielfältige politische Landschaft zu bilden in der Lage sind.
(Hat je jemand im Zuge der Proteste um S21 nach einer »politischen Führungsfigur« für den Protest gefragt? Explizit?)

Bild des Benutzers Axel Weipert

Gemach, gemach!

Es soll hier keineswegs darum gehen, irgendjemanden irgendetwas abzusprechen. Im Gegenteil: manchmal würde man sich ja auch hierzulande ein solches direktes Engagement der Menschen wünschen! Vielmehr stellt sich eben die Frage, ob eine Führungsfigur (oder, besser gesagt: eine Identifikationsfigur) die Chancen der Protestierer erhöhen würde oder nicht. Zudem habe ich ja auch darauf verwiesen, dass inhaltliche Übereinstimmungen mindestens genauso wichtig sind. Im übrigen kann auch eine plurale politische Landschaft von - dann eben mehreren - Führern dominiert sein.

Der Vergleich mit S21 hinkt m.E. doch sehr. Denn hier ging es - trotz K21 - eben primär um die Verhinderung einer politischen Maßnahme, nicht um die Regierungsübernahme oder ähnliches. Und genau darauf zielt ja der Artikel ab: Dass es in Ägypten nun darum gehen muss, tragfähige Alternativen zum alten Regime zu entwickeln.