Magazin Beitrag

Das große Thema seiner Präsidentschaft

Agenda setting à la Wulff
Zweitwohnsitz des präsidialen Häuslebauers
Zweitwohnsitz des präsidialen Häuslebauers Bild von caribb

Das politische Feuilleton ist sich darüber einig: ein Bundespräsident benötigt ein »großes Thema seiner Amtszeit«. Eines, dem er während seiner Präsidentschaft stringent folgt, das er immer wieder formuliert und aufwärmt. Das präsidiale agenda setting sei der persönliche und individuelle Stempel, mit dem man die eigene Ära politisch und historisch prägt. Christian Wulff gilt auch deswegen als blass, weil man ihm bescheinigt, noch kein Thema gefunden zu haben. Offenkundig ist das aber falsch - es kristallisiert nun heraus, dass auch er eine thematische Linie gefunden hat.

Von denen nehmen, die haben

Wulffs Leitsatz ruht auf der Teilhabe aller am erwirtschafteten Reichtum. Kommt jemand zu Millionensummen, so läßt sich Wulff selbst von ihm aushalten. Fliegt kostenfrei auf Ferieninseln, läßt sich Mikrokredite mit Mikrozinsen erteilen, wohnt gratis in Villen - das ist gelebte Umverteilung. Nicht zaudern, nicht mosern, sich den Reichtum anderer gut tun lassen. Von denen nehmen, die haben - das ist das große Thema des Bundespräsidenten Wulff. Er spricht wenig darüber, er handelt - kein Mann großer Worte, wohl aber ein Macher.

Das Thema seines damaligen Kontrahenten Gauck, wäre die Freiheit gewesen. Seid arm, aber erfreut euch der Freiheit, die es euch ermöglicht, arm zu sein, hätte er paroliert. Ich bin so frei und verteile aus reichen Taschen in solche, die nicht so voll sind, so der Wulff-Theme. Damit möchte er aufrütteln und andeuten, dass das ein gesellschaftlich verbindliches Modell sein kann. Nehmt denen, die Millionen von Euro haben und gebt denen, die Millionen von Sorgen haben. Wulff rüttelt die Politik wach, Maschmeyers und Geerkens Großzügigkeiten auch in Gesetze zu packen, auf dass alle etwas davon haben.

Auf Korruption, Patronage und Lobbyismus aufmerksam machen

Als Mann weniger Worte, als Anpacker und Macher, kann seine Aktion freilich auch anders interpretiert werden. Vielleicht möchte er als sein großes Thema vor unser aller Augen führen, dass die Politik käuflich und korrupt ist, ein von der Wirtschaft mit Urlauben und Huren versorgter Sektor. Möglich, dass er zum Ausdruck bringen will, dass selbst der Bundespräsident in diesem Lande nicht mehr frei von Käuflichkeit ist; dass er ungefähr so unabhängig ist, wie die Dorfmühle vom Dorfbach.

So oder so, man muß nur die Augen öffnen, denn es ist mitnichten so, dass der Bundespräsident noch immer nach seinem großen Thema sucht. Er hat es gefunden und bringt es regelmäßig auf den Tisch. Wulffs großes Thema ist eine Mischung aus beiden Interpretationen, darf man annehmen. Und noch etwas dürfte sein Thema sein - und das teilt er sich mit seinem Vorgänger. Jenes nämlich, dass in dieser Berliner Republik farblose, uncharismatische und unscheinbare Apparatschiks zur Bundespräsidentschaft gelangen können - das bringt er mit jedem Satz und jeder Regung auf den Punkt. Dass es um parteipolitisches Geschacher und nicht um irgendeine Würde irgendeines Amtes geht, wenn zur Präsidentenwahl geblasen wird, das ist auch so ein großes Thema dieser Präsidentschaft…


Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf ad sinistram.