Magazin Beitrag

Das Legitimationsfenster

Die Ziele westlicher Interventionspolitik sind unklar – die Perspektiven werden kaum diskutiert
Das Legitimationsfenster
Bild von Michael Bracken

Nach zwei Jahrzehnten unzähliger Militäreinsätze weltweit wird über die Strategien und Legitimität westlicher Interventionspolitik ebensowenig diskutiert wie über deren Perspektiven und Alternativen. Die öffentliche Auseinandersetzung in den deutschen Medien arbeitet sich lieber an Details und Spitzfindigkeiten ab.

In der deutschen Bevölkerung lehnt die deutliche Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr laut verschiedenen Umfragen bereits seit zwei Jahren ab, auch wenn der Anteil mal zu und mal abnimmt. Diese Haltung findet sich mit einiger Verspätung auch in den bürgerlichen Medien wieder.

Einige kleinere Medien wir der Freitag oder Telepolis versuchen die Diskussion um einen Abzug zu forcieren. In den meisten Kommentaren dagegen wird der Aspekt zugespitzt, daß die Bundesregierung das Wort „Krieg“ aus verschiedenen Gründen nicht in den Mund nehmen möchte. Die ablehnende Haltung in der Bevölkerung kommt der Regierung insoweit nahe, als das sie damit die begrenzte Rolle des eigenen Militärs in Afghanistan gegenüber ihren Verbündeten argumentieren kann. Merkels Kabinett kann sich diese zwiespältige Rolle solange leisten, wie sich trotz der Kritik kein merklicher Widerstand und Protest entwickelt.

Neben den Eiertanz um das „K-Wort“ erstaunt vielmehr die Fokussierung der öffentlichen Debatte auf deutsche Truppen in Afghanistan. Die Liste der Auslandseinsätze der Bundeswehr ist seit dem Einsatz in Somalia 1993/94 mittlerweile lang geworden: Somalia, Bosnien, Kosovo und Afghanistan, um nur die wichtigsten zu nennen. Die letzte und die jetzige Regierung haben die Einsätze mit einer seltsamen Mischung aus sicherheitspolitischen und humanitären Gründen zu legitimieren versucht. So wird der Afghanistan-Einsatz als Aufbau-Mission verkauft, um diesen als getrennt von den Kampfeinsätzen der Amerikaner und Briten zu sehen, obwohl sie natürlich logistisch und organisatorisch eine Einheit darstellen.

Ablenkung der öffentlichen Auseinandersetzung

Micah E. Clare

Die öffentliche Auseinandersetzung wird dadurch von der Frage nach der westlichen Interventionspolitik der letzten 20 Jahre auf einen Einsatz eines Landes gelenkt. Der Diskurs berührte in der Vergangenheit die geopolitische Dimension – und damit die Frage nach Gründen, Perspektiven und Alternativen – nur dann, wenn die Einsätze vor der Bevölkerung legitimiert werden mussten.

Ursprünglich ist diese Interventionspolitik – meist im Rahmen der NATO, aber auch der UN – mit unterschiedlichen Versprechen angetreten: Verhinderung von Völkermord, Schutz der Zivilbevölkerung vor Verbrechen, Bekämpfung des Terrorismus und „Nation Building“.
Gerade die Vielzahl und Widersprüchlichkeit der von der Politik genannten Ziele erschwert es, anhand dieser die Einsätze zu bewerten. Es wird gewissermaßen ein Legetimationsfenster eröffnet, daß die Überprüfung durch eine kritische Öffentlichkeit ebenso erschwert wie eine klare strategische Zielbestimmung.

Dennoch kann keines dieser Ziele langfristig erreicht werden, ohne stabile Staaten dabei aufzubauen. Ohne die Erreichung dieser Zielmarke dehnt sich die Präsenz ausländischen Militärs in die Ewigkeit aus, mit unabsehbaren Folgen und Kosten.

Ein Maßstab für die Beurteilung der
militärischen Interventionspolitik

U.S. Army

Mißt man nun die westliche Interventionen und Präsenzen an der Zielsetzung, Staaten aufzubauen, die demokratischen Mindeststandards einhalten, eine stabile Zentralregierung und ein Parlament besitzen, die nicht von einer Bevölkerungsgruppe dominiert werden, keine ethnischen Vertreibung zuzulassen und bestehende Spannungen pazifizieren zu können, und nicht zuletzt einen materiellen inneren sozialen Frieden herzustellen, so kann man eigentlich nur feststellen, daß die Interventionspolitik unter militärischen Prämissen nur als gescheitert bezeichnet werden kann.

Im Kongo wurde der Bürgerkrieg mit Millionen Toten keineswegs gestoppt, im Kosovo protegiert die EU eine kleine Ganovenrepublik, in der ethnische Vertreibungen der Minderheiten stattgefunden haben, in Afghanistan wird in einem Krieg ohne absehbares Ende der Drogenexport gesichert, die amerikanische Besatzung des Irak ist ein Desaster und über Somalias Prosperität braucht eigentlich kein Wort verloren zu werden. Und was noch schlimmer wiegt: Bei dieser verheerenden Bilanz fällt einem kein einzelnes Gegenbeispiel ein, kein Staat, dessen Aufbau als annähernd geglückt bezeichnet werden kann, in dem die immensen Kosten an Menschenleben und Engagement eine Perspektive aufzeigen, die auf die anderen „failed missions“ ausstrahlen könnte.

In diesem Kontext erstaunt es schon, wenn im öffentlichen Diskurs ernsthaft die Frage erörtert wird, ob es sich in Afghanistan um einen „Krieg“ handele. Mit dieser verbissenen Konzentration auf dieses Detail verliert sich der Blick auf die desaströse Bilanz der letzten 15 Jahre, der sogenannten neuen Welt-“Ordnung“. Das Eingeständnis des Scheiterns hätte die sinnvolle Folge, die aktuellen Strategien völlig in Frage zu stellen und zu neuen Handlungskonzepten zu gelangen.

Eine Geopolitik, die im Schwerpunkt Bedrohungsszenarien betont und eine diffuse Zielvorstellung entwickelt anstatt sich durch feste Zielmarken in klar definierten Zeiträumen messen zu lassen und somit durch die Öffentlichkeit überprüfbar zu sein, führt immer weiter in die Sackgasse. Die häufig stattfindenden „Strategiewechsel“ sind nur ein Indikator für die mangelnde Klarheit und Orientierung dieser Politik. Die vielen und zum Teil widersprüchlichen Ziele erschweren es den Bündnispartnern allerdings auch selber eine intelligente Diskussion zu führen, selbst wenn die in der Öffentlichkeit diskutierten Ziele mehr als Camouflage sein sollten.

Das Scheitern des Westens und die Opposition

Carl Montgomery

Insbesondere die militärische Prämisse dieser Politik hat seine Grenzen gefunden. In all diesen Fällen wurde erstmal militärisch eingegriffen, um dann mal zu schauen, ob es vielleicht auch gelingt, zivile Strukturen aufzubauen. Dabei ist kein klares und durchgehendes Konzept erkennbar. Es wird mit höchst fragwürdigen Akteuren paktiert, solange sie die Feinde der Feinde sind, während zivilgesellschaftliche Strukturen, die ernsthafte Partner für den Aufbau einer nachhaltig demokratischen Gesellschaft sein könnten, kaum deutlich werden. Dies wird auch daran deutlich, daß für den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan 2,9 Milliarden Euro ausgegeben wurden und für Entwicklungshilfe 830 Millionen Euro.

Umso erstaunlicher ist es, daß der öffentliche Diskurs das Scheitern dieser Politik nicht beim Namen nennt. Gerade die diffusen Zielsetzungen erschweren es offenbar, die Politik in die Pflicht zu nehmen und verantwortlich zu machen.

Die einzige Ausnahme in Deutschland stellen Reste der alten Friedensbewegung, die außerparlamentarische und parlamentarische Linke sowie einige Friedensforscher dar. Die ablehnende Haltung der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland findet keine parlamentarische Entsprechung. Allerdings kann die Partei „Die Linke“ aus diesem Mißverhältnis auch kein großes politisches Kapital schlagen. Die deutsche Interventionspolitik wird in der öffentlichen Wahrnehmung erstaunlicherweise weit weniger Gewicht beigemessen als der amerikanischen Intervention 2003 im Irak, gegen die in Deutschland Hunterdtausende demonstrierten.

Die außerparlamentarische Linke entdeckt hinter den offiziellen Motiven der westlichen Staaten häufig eine Form des Neoimperialismus, die nur hinter einer Anzahl von Legitimationen versteckt werden. Inwieweit die Strategen der Interventionspolitik tatsächlich die Weltkarte wie ein Schachbrett im Kampf um Einfluß und Ressourcen betrachten oder die offiziellen Gründe eine Rolle spielen ist sicher eine spannende Frage. Eine einseitige Antwort ist wahrscheinlich ebenso reduktionistisch wie die Aussage, den USA gehe es im Irak nur um Öl und in Afghanistan nur um Pipelines und die Einkreisung Russlands.

Vielmehr es ist sinnvoll, die Situation an den vorgegebenen Zielen zu messen und zu kritisieren. Allerdings ist gerade die Vielzahl an Interventionsgründen ein Einfallstor zur Verschleierung von anderen Interessen und Zielen. Der halbe afrikanische Kontinent und weite Bereiche des nahen und mittleren Ostens sowie Zentralasiens sind politisch so instabil, daß es ein leichtes ist, Gründe für eine Intervention zu finden, wenn es eben gerade ins Konzept passt.

Die Parole „Raus aus Afghanistan“ sowie die Anprangerung unilateraler militärischer Machtpolitik des Westens, welche das Völkerrecht und die eigenen demokratischen Standards wie Kautschuk behandelt, sind anhand der instabilen Lage der genannten Regionen wenig zielführend. Dies soll jedoch keineswegs bedeuten, ein abschließendes Urteil oder auch nur ausreichende Analyse über die Motive der Interventionspolitik getroffen zu haben.

Mögliche Alternativen

Mateus

Ohne alternative Sicherheitskonzepte, die den gescheiterten militärischen Prämissen entgegenstehen, und denen eine differenzierte Analyse zugrunde liegt, wird eine dem aktuellen geopolitischen Paradigma entgegenstehender Ansatz jedoch keine Überzeugungskraft entwickeln. Eine Möglichkeit einer neuen Sicherheitspolitik bestände zum Beispiel in einer massiven Aufwertung der OSZE. Im Rahmen eines Ausgleichs und einer Partnerschaft des Westens mit Russland könnte eine Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklung des gesamte Gürtels der osteuropäischen Staaten, des Balkans, des Kaukasus und der zentralasiatischen Staaten vorangetrieben werden, was wiederum starke Ausstrahlung auf den nahen und mittleren Ostens hätte.

Dies würde aber voraussetzen, daß der Westen seine einseitigen Einfluß- und Interessenpolitik aufgibt, und Rußland im Gegenzug die Durchsetzung von Mindeststandards an Menschenrechten und Demokratie in seiner alten Einflußzone zugesteht. Das Problem westlicher Demokratisierungsversuche besteht auch darin, daß diese immer auch als Einfallstor für Einflußpolitik benutzt werden, und somit nicht nur von Rußland mit Mißtrauen gesehen wird. Die OSZE wäre hier ein Rahmen der eine solche Politik in einen vertraglichen Rahmen gießen und überwachen könnte. Die Schlußakte von Helsinki war ein vergleichbares Tauschgeschäft. Ob die westlichen Staaten ihr Scheitern eingestehen und an solchen Abkommen ein wirkliches Interesse hätten, bleibt allerdings mehr als fraglich.

In diesem Zusammenhang steht die Frage der Verbindlichkeit von Menschenrechten: Gelten sie allgemein und weltweit? Wie kann man sie durchsetzen ohne das Selbstbestimmungsrecht zu verletzen und Kulturexport zu betreiben? Wie kann verhindert werden, das Menschenrechte selektiv thematisiert werden, um Einflußpolitik zu betreiben? Und welche Institution soll hier handeln und urteilen, die unabhängig von den Machtinteressen einzelner Staaten ist?

Letzlich kann nur der Versuch, internationale Organisationen und Verträge zu schaffen und zu stärken, Stabilität und Verbindlichkeit herstellen. Ohne das Eingeständnis des Scheiterns der aktuellen Politik wird es zu keiner Neuorientierung kommen, sondern weitere Jahre erfolgloser Kriege folgen.

Kommentare

Debatte

Zwischen dem Freitag und Thierry Chervel auf Perlentaucher lief ein heftiges Wortgefecht um den Afghanistan-Einsatz:

Früher hieß es: Die Rechte verteidigt »die Kultur«, die Linke kämpft für »die Zivilisation«. Die Rechte akzeptiert Ungleichheit als etwas natürlich Gewachsenes. Die Linke kämpft für Universalia wie zum Beispiel auch die Gleichheit der Menschen. Die Rechte befürwortet ein traditionelles Frauenbild, die Linke kämpft für Emanzipation. Aber so ist es nicht, vielleicht war es ja noch nie so: In Wirklichkeit ist sich die Linke mit der Rechten einig. - Thierry Chervel

Chervel setzt den Freitag, die Unterzeichner des Aufrufs und die gesamte Linke gleich. Das ist als polemische Überhöhung ganz lustig, also nicht wirklich schlimm. Nicht so lustig ist sein Satz, dass die Linke an den »verlorenen Gewissheiten der Rechten festhält: Kultur, Tradition, Sitte, Kopftuch, Religion, Unterwerfung. - Jakob Augstein