Presseschau Mitteleuropa

Rohe Bürgerlichkeit

Die soziale Kälte nimmt zu
Rohe Bürgerlichkeit
Bild von hikingartist.com

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer untersucht seit einigen Jahren in einer Langzeitstudie die Einstellungen gegenüber sozial Schwachen und Minderheiten in unserer Gesellschaft. Die Befunde sind besorgniserregend: Unsicherheiten wachsen, Abstiegsängste nehmen deutlich zu. Damit einher gehen Ausgrenzungen und ein nicht zu unterschätzendes Potenzial für rechte Einstellungen. Schuld an dieser Entwicklung ist nach Heitmeyer vor allem die Oberschicht. Deren Denk- und Verhaltensweisen bezeichnet er als »rohe Bürgerlichkeit«. Sie beurteilt Menschen vor allem nach ökonomistischen Kriterien wie Effizienz und Nutzen und liefert so eine Begründung für die Entsolidarisierung:

Der so von oben inszenierte Klassenkampf wird über die rohe Bürgerlichkeit nach unten weitergegeben. Die objektive finanzielle Spaltung zwischen Reich und Arm wird ideologisch durch die Abwertung und Diskriminierung von statusniedrigen Gruppen durch die rohe Bürgerlichkeit getragen. Dafür gibt es empirische Belege.

Schöne Bescherung

Fundraising im Zwielicht
Schöne Bescherung
Bild von Neubie

In der Weihnachtszeit sind sie wieder allerorten unterwegs: Die Spendensammler. Fundraising ist mittlerweile ein hochprofessionelles Geschäft, in dem vor allem Werbeagenturen und andere Dienstleister kräftig verdienen. Der Umsatz beträgt fünf Milliarden Euro jährlich, 50.000 Vereine sammeln selbst oder lassen sammeln. Doch nicht alle arbeiten seriös. Das ist besonders bitter für all jene, die sich ehrlich und ohne Eigeninteresse karitativ engagieren.

Dank der Gutgläubigkeit der Bürger und mithilfe psychologischer Tricks ergattern die schwarzen Schafe der Branche Millionenbeträge. Carsten Rau und Hauke Wendler haben die Praktiken recherchiert - und selbst einen Verein gegründet, um zu sammeln. Dabei stellten sie fest, wie einfach das ist: Man benötigt nur einen Eintrag ins Vereinsregister, ein paar Werbeutensilien inklusive Spendenbox und ein seriöses Auftreten. Denn weder sind Genehmigungen noch ein transparenter Nachweis über die Verwendung der Gelder erforderlich. So kommt es, dass einzelne Sammler 85% und mehr als Verwaltungsaufwand abziehen, nur wenig kommt bei den Bedürftigen an. Selbst gut arbeitende Vereine können manchmal der Versuchung nicht widerstehen, auf fragwürdige Praktiken bei ihrer Finanzierung zurückzugreifen. Spendenwillige sollten sich deshalb vorab genau informieren.

»Herrschaft einer subtilen Pornokratie«

Eine Polemik wider die Sitten der Feuilletonaristokratie
"Herrschaft einer subtilen Pornokratie"
Bild von Max Stanworth

Eine heftige Attacke gegen die Gepflogenheiten der Feuilletonautoren deutscher Blätter reitet Thor Kunke im Titel-Kulturmagazin: Eine eitle Kaste von Kulturbeamten habe sich in den Redaktionsstuben bequem eingerichtet. Das Resultat sei ein Gefälligkeitsjournalismus – für den Beleg der Nähe zwischen Schreibern und Rezensierten führt er zahlreiche Beispiel an. Auch allzu Banales werde positiv besprochen. In der Folge findet der Leser keine Orientierung durch das kritische Urteil. Das Feuilleton verkommt zu Vermarktungsabteilung der Ware Buch:

Was wir momentan als geistigen Sinkflug in die dröhnende Kulturlosigkeit erleben, ist – überspitzt gesagt und in kleinerem Maßstab – das postmoderne Gegenstück zum Faschismus, gegründet auf der Legalisierung des Privilegs, einem Verhaltenskodex der rigorosen Gleichmacherei und der Herrschaft einer subtilen Pornokratie, die erstaunlicherweise ein feministisches Unterfutter aufweist.

Wenn der Informationsfluss versiegt

Die Logik des neofaschistischen Terrors bleibt schemenhaft
Welche Fäden liefen auf der Theresienwiese in Heilbronn zusammen?
Welche Fäden liefen auf der Theresienwiese in Heilbronn zusammen? Bild von Dmitry Klimenko

An einer Zwischenbilanz zu den Ermittlungen zu der neofaschistischen kriminellen Gruppierung NSU versucht sich der auf Rechtsradikalismus spezialisierte Journalist Andreas Förster im Freitag.

Bislang aber fördern die Ermittlungen mehr Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten zutage als Fakten.

Weder das Verhalten der Bankräuber am Tag ihres Ablebens scheint plausibel noch der Hintergrund des Todes einer Polizistin in Heilbronn. Warum nahmen Böhnhardt und Mundlos das Geld früherer Bankraube sowie ein Arsenal von Tatwaffen mit zu einem Überfall? Lebten sie tatsächlich zumeist in Zwickau? Das Profil der Gruppe bleibt auch nach einem Monat Ermittlung schemenhaft. Weiterlesen … »

Hinter den Kulissen

Die Arbeitsbedingungen bei Paketzustellern
Hinter den Kulissen
Bild von J-Cornelius

Täglich werden in Deutschland zehn Millionen Pakete von etwa 50.000 Zustellern ausgeliefert. Viele von ihnen sind bei Subunternehmen der großen Logistikunternehmen angestellt. Die Branche boomt, da immer mehr Kunden ihre Bestellungen online tätigen – ein erheblicher Teil der Pakete sind von Amazon und Co.

Die Bedingungen für die Beschäftigten hat Reinhard Schädler undercover untersucht, bei einem Auftragnehmer von DHL. Sie sind katastrophal. Das beginnt schon mit einem einwöchigen Praktikum vor Einstellung, natürlich unbezahlt. Trotz eines zu Anfang in Aussicht gestellten höheren Lohns beträgt dieser dann 1.200 Euro brutto, bei ca. 55 Stunden Arbeitszeit wöchentlich und befristetem Vertrag mit Probezeit. Die Zusteller arbeiten unter permanentem Druck: einmal durch die zu erfüllenden Quoten bei der Ablieferung, außerdem durch die Überlastung. Pausen sind fast unmöglich, Überstunden werden nicht vergütet. Als Schädler beim Chef in Sachen Betriebsrat vorspricht, erhält er prompt seine Kündigung.

Mit freundlicher Unterstützung

Deutsche Spähsoftware in Diktaturen
Spionage mit deutscher Hilfe
Spionage mit deutscher Hilfe Bild von WikiLeaks

Wortreich haben Mitglieder der Bundesregierung die arabischen Revolutionen als Freiheitsbewegungen gelobt und ihnen Unterstützung versprochen. Nach Recherchen von Zapp sieht das Bild aber nicht so rosig aus. Denn deutsche Firmen wie Gamma und Siemens entwickelten Spähsoftware zum Aufspüren und Überwachen von Handys oder Computern. Diese Programme wurden und werden noch immer von Diktaturen in aller Welt zur Unterdrückung eingesetzt. Nicht nur in Iran oder Turkmenistan, sondern auch in Ägypten, Oman und aderswo in der arabischen Welt. Dabei konnten die Unternehmen auf staatliche Hilfen wie die Hermes-Bürgschaften zurückgreifen. Denn laut Bundeswirtschaftsministerium handelt es sich bei der Software um Zukunftstechnologie, die gefördert werden soll.

Wunsch contra Realität

Zur Afghanistankonferenz

Jürgen Wagner analysiert die Lage in Afghanistan anläßlich der jüngsten internationalen Konferenz dazu in Bonn. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass das von Politikern und Medien gezeichnete Bild sich keineswegs mit der Realität deckt. Das beginnt schon bei den bloßen Ergebnissen der Tagung. Von einem vollständigen Abzug der westlichen Truppen im Jahr 2014 könne keine Rede sein. Vielmehr werden mehrere zehntausend Soldaten auch danach noch dort bleiben - als Ausbilder, aber auch mit Kampfaufträgen.

Vor allem aber habe der zehnjährige Einsatz die Lage vor Ort nicht verbessert. In allen relevanten Bereichen sei kaum etwas erreicht worden, in vielen gebe es sogar dramatische Verschlechterungen. Weder sei Afghanistan heute demokratisch, noch wohlhabender oder friedlicher. Weiterlesen … »

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