Presseschau Europa

Tarnkappen-Lobbyismus

Wege und Irrwege der PR

Mal geht es um Masthühner, mal um Haarausfall, und manchmal auch um Unterrichtsmaterialien. Es ist nicht immer offensichtlich, wann und wie Lobbyisten am Werk sind. Zwei Grundmuster lassen sich aber erkennen. Erstens: am erfolgreichsten ist PR, wenn sie nicht als solche erkennbar ist. Also in einem scheinbar neutralen, wissenschaftlichen Gewand auftritt. Zweitens: wenn sie es Multiplikatoren - also Politikern, Journalisten oder Lehrern beispielsweise - besonders leicht macht, ihre Inhalte zu übernehmen. Manche Strategien zielen dabei auf konkrete Interessen und deren gezielte Verbreitung bzw. Umsetzung, andere sind langfristiger und breiter angelegt, um bestimmte Grundhaltungen in der Gesellschaft zu verankern. Bedenklich sind sie aber allzu oft. Gerade, weil sie Partikularinteressen als allgemeinwohlfördernd darstellen.

Frage der Perspektive

Zu den Arbeitsmarktzahlen

So viele Arbeitsplätze wie nie zuvor! So wenig Arbeitslose wie seit 20 Jahren nicht mehr! Das verkündet die aktuelle Statistik zum Arbeitsmarkt. Parallel dazu verbreitet das Wirtschaftsministerium zahllose Plakate mit dem etwas plumpen Aufmacher »Danke, Deutschland!« Freilich ist das alles vor allem eine Frage der Interpretation. Denn gleichzeitig boomt vor allem die Teilzeit- und Leiharbeit, viele Arbeitslose verschwinden nur aufgrund statistischer Tricks aus der Berechnung. Das Arbeitsvolumen dagegen ist seit 2001 sogar zurückgegangen. Und die Reallöhne hinken der allgemeinen Entwicklung hinterher. Die Politik der letzten Jahre ist also kaum als Erfolg zu werten, wie das vielfach geschieht, meint Ulrike Herrmann:

Diese Groß-Erzählung wird nicht nur von der schwarz-gelben Regierung betrieben. Sie ist genauso beliebt bei vielen Sozialdemokraten und Grünen, die ja unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Hartz-Reformen erfunden haben. Gegen dieses parteiübergreifende Kartell der Schönfärberei ist schwer anzukommen. Deswegen sei es - noch einmal - gesagt: Nein, Hartz IV hat gar nichts gebracht. Die Zahl der Arbeitsstunden ist nicht gestiegen; es wurde keine neue Beschäftigung geschaffen. […] Die Hartz-Reformen haben keine Beschäftigung geschaffen, dafür aber die Verhandlungsmacht der Beschäftigten beschnitten. Nirgends lässt sich dies besser sehen als bei den Reallöhnen, die zwischen 2000 und 2010 nur um insgesamt 4,4 Prozent gestiegen sind. Die Wirtschaft hingegen wuchs gleichzeitig um 9,7 Prozent, so dass also der größte Teil des Zugewinns an die Kapitaleigner gegangen ist, an die Unternehmer und Aktionäre.

Green New Deal

Wie weit geht der Wandel?
Kraftwerk in Soweto, Südafrika
Kraftwerk in Soweto, Südafrika Bild von carlosoliveirareis

Joachim Hirsch widmet sich in einem längeren Beitrag den grundsätzlichen Voraussetzungen eines grünen, ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Dabei dominiert bei ihm Skepsis, denn dieser Wandel würde sich stets in einem klar begrenzten Rahmen bewegen. So werde etwa Atom- durch Solarstrom ersetzt, nicht aber das Wachstum des Energieverbrauchs generell hinterfragt. Genauso, wie ein grüner Kapitalismus weiterhin auf Rohstoffe und Absatzmärkte angewiesen ist, sich an einer auch militärisch abgestützten Außenpolitik zur Durchsetzung dieser Interessen also nichts ändern wird. Eine Parallele sieht Hirsch dabei zwischen der Arbeiterbewegung und den modernen Ökogruppen. So wie einst bessere und notwendige Mindeststandards für die Arbeiterschaft durchgesetzt wurden, sorgt die Ökologiebewegung heute für ebenso notwendige Veränderungen auf ihrem Gebiet. Allerdings wird es kaum gelingen, das Wirtschaftssystem als ganzes umzukrempeln: Weiterlesen … »

Weiblicher Sextourismus

Wer ist hier das Opfer?
Weiblicher Sextourismus
Bild von robstephaustralia

Die Stories klingen sehr pauschal und strotzen nur so vor Klischees: Hier die ahnungslose Touristin, die an die romantische Liebe glaubt, dort der exotische Strandbeau, der sie gnadenlos ausnutzt. »Bezness«, eine arabisierte Variation von Business, hat sich für das Phänomen mittlerweile eingebürgert. Laut Bild der Frau betraf das allein in diesem Jahr 5.000 deutsche Urlauberinnen, vor allem in der Türkei, in Tunesien, Marokko oder Kenia. Grund genug für das Blatt, zwei Undercover-Journalistinnen vor Ort recherchieren zu lassen. Herausgekommen sind eindeutige Frontlinien, die Rede ist von »Liebes-Mafia« und »Gefühls-Gangstern«.

Die taz gibt sich da weit weniger aufgeregt. Für sie ist Bezness vor allem Ausdruck des Wohlstandsgefälles zwischen Nord und Süd. Vielleicht steckt hinter der vorgeblichen naiven Romantik aber auch ein uneingestandenes Kalkül: Einmal aus dem grauen Alltag ausbrechen, Erotik und Bauchkribbeln für zwei Wochen – wahrhaft all inclusive sozusagen. Oder welche Frau meint ernsthaft, ein zwanzig Jahre jüngerer Beachboy erkennt in ihr die große Liebe, jenseits aller kulturellen und ökonomischen Barrieren?

Kratzen an der Oberfläche

Zur Kritik der Banker
Was steckt unter der Oberfläche?
Was steckt unter der Oberfläche? Bild von Wolf-Ulf Wulfrolf

Simon Johnson ist Chefökonom des IWF und damit einer der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler überhaupt. In der FTD vertritt er die Meinung, Bankmanager sollten nicht nur hohe Gehälter und Boni einstreichen, sondern im Falle des Scheiterns auch zur Verantwortung gezogen werden - sprich: für die Schäden mithaften. Das sei momentan aber nicht so. Ungeachtet der großen Summen, die Staaten in den Finanzsektor gepumpt haben, sind derartige Regelungen bisher nicht in Kraft getreten. Und das trotz der fatalen Folgen für Millionen »normale« Bürger.

Kommentar

Sicherlich hat Johnson in diesem Punkt recht. Nur: Die Vergütung der Manager ist allenfalls ein sekundäres Problem. Sicher, sie heizt die Spekulation an, schafft falsche Anreize für überhöhte Risiken. Aber der Kern der Finanzkrise liegt woanders: In der extrem ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung. Sie liefert überhaupt erst die Gelder, um Spekulationsblasen entstehen zu lassen, schwächt die Nachfrage nach Konsumgütern und schließt viele Menschen von der sozialen Teilhabe aus. Eine strenge staatliche Regulierung der Vergütungspraxis wäre also wünschenswert, kann aber nur ein Mosaiksteinchen innerhalb eines umfassenderen Umbaus der Wirtschaft sein.

Ein neuer Anlauf

Hat der Sozialismus eine Zukunft?
Ein neuer Anlauf
Bild von Jose Téllez

Heinz Dieterich ist ein radikaler Kritiker und so etwas wie ein Vordenker des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Bekannt wurde er vor allem durch seine Beratungstätigkeit für Hugo Chávez und andere linke Regierungen Südamerikas. Mittlerweile überwiegt bei ihm die Enttäuschung über diese seiner Meinung nach gescheiterten Aufbrüche. Aber zugleich hält er an seiner Vorstellung des Sozialismus fest:

Ein wirtschaftlich-gesellschaftliches System, das auf demokratischer Planung und partizipativer Demokratie beruht und das als Bewertungsmaßstab nicht Marktpreise benutzt, sondern die Arbeitswerte.

Denn das aktuelle System habe versagt:

Ich glaube, dass das bisherige System – bestimmt von Parlamentarismus, Nationalstaat und Marktwirtschaft, dessen Konstruktion aus dem 18. Jahrhundert stammt – heute nicht mehr fähig ist, sich den neuen Erfordernissen der Menschheit anzupassen. Nun muss die Evolution ein neues Weltordnungssystem erzeugen.

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Eine lange Geschichte

Schulden als Hebel der Umverteilung
Oligarchie oder Demokratie?
Oligarchie oder Demokratie? Bild von CmdrCord

Der Ökonom Michael Hudson beschreibt die Geschichte der Staatsschulden seit ihren Anfängen bei den Sumerern über die Antike und Frühe Neuzeit bis heute. Immer wieder stösst er dabei auf Konflikte zwischen Gläubigern und der breiten Masse der Bevölkerung. Der Staat nimmt dabei je nach Machtverteilung eine bestimmte Rolle ein. Mal dient er einer kleinen Oligarchie als Mittel zur Eintreibung ihrer Gelder, mal verfügt er einen allgemeinen Schuldenerlass zugunsten der Vielen. Heute wäre es seine Aufgabe, entweder letzteres durchzuführen oder zumindest über eine angemessene Besteuerung einen Teil der Vermögen wieder der Allgemeinheit zuzuführen.

Es gehört seit der Antike zu den geschichtlichen Konstanten, dass die Interessen von Gläubigern in Widerspruch zu denen der Demokratie wie auch des Königtums gerieten, die in der Lage gewesen wären, der finanziellen Eroberung der Gesellschaft und einer nahezu autonomen Dynamik Grenzen zu setzen, welche den ökonomischen Überschuss in zinstragende Schuldtitel verwandelte.

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